Game Thread (IC)

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Idrasmine
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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Thu Oct 11, 2018 10:25 am

Quin liegt reglos und schweigend auf seinem Schlafsack unter dem Unterstand den Praiala aus Laub und Unterholz gebaut hat. Er trägt nur sein braunes Hemd und Unterwäsche. Sein schlimmes Bein hat er ausgestreckt, der Fuß liegt auf seinem zerschlissenen Fuhrmannsmantel. Praiala hat einen Rucksack als Stütze darunter gelegt.
Seit er auf der Anhöhe angekommen ist, hat Quin kein Wort mehr gesprochen. Mit Hilfe seiner Krücke hat er sich aufgerichtet und ist mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Unterstand gehumpelt. Nachdem Quin den schmerzhaften Aufstieg hinter sich gebracht hat, rückwärts und auf dem Hintern hoch rutschend, hat Praiala vermieden ihn anzuschauen. Aber sie hat ein leises "Gut gemacht" gemurmelt. Sie wissen beide, dass er keinen Schritt mehr weitergehen kann. Quin wird hier warten müssen, bis Hilfe kommt. Der Gedanke daran, es ihm beizubringen plagt Praiala fast noch mehr als ihn tatsächlich zurückzulassen. Vielleicht ist es besser, damit bis zum Morgen zu warten. Ein weiteres Streitgespräch will sie jetzt nicht durchstehen.
Eins nach dem anderen. Erst einmal muss sie versuchen ein Feuer zu machen. Das brackige Regenwasser das sie in ihre Wasserschläuche gefüllt haben abzukochen ist essentiell, ein paar getrocknete Kräuter für einen Tee hat sie noch im Proviant, und ein heißes Getränk wird ihnen guttun. Zuerst muss sie Feuerholz sammeln. Sie brauchen so viele trockene Äste, wie sie nur finden kann. Danach wird Praiala auf den Baum klettern und die Umgebung auskundschaften. Sie muss genau nach Plan vorgehen. Methodisch. Nicht aufhören zu denken. Der Angst keinen Raum geben, sie gar nicht erst aufkommen lassen.
Das Lager aufbauen, eine Feuerstelle anlegen, den Topf aus Quins Gepäck rausholen, mit Wasser füllen, das Feuer anzünden. Praiala arbeitet wie in Trance, sie ist sogar zu erschöpft, um zu beten. Ihre Lungen sind überanstrengt und schmerzen. Sie kann ihre Beine kaum noch koordiniert bewegen und stolpert ständig über die eigenen Füße. Ihr Gleichgewichtssinn ist gestört. Das liegt am Flüssigkeitsmangel oder daran, dass sie seit in der Früh nichts gegessen hat. Sie fühlt sich, als hätte sie den ganzen Tag Klimmzüge und Kniebeugen gemacht. Sie fragt sich, ob etwas von dem Grünzeug um sie herum essbar wäre. Sie denkt an wilde Beeren, und das Wasser läuft ihr im Mund zusammen.
Irgendwann sitzen sie beide schweigend beieinander, die schmutzigen Hände um die Becher mit dem heißen Tee gelegt. Schon allein der Duft lässt sie beinahe in Tränen ausbrechen. Sie starren mit glasigen Augen in die Flüssigkeit, die allmählich abkühlt. Niemand macht sich die Mühe, den Tee abzusieben. Viel zu groß ist das Bedürfnis, sich endlich etwas Heißes einzuverleiben. Kaum ist der Tee nicht mehr brühheiß, stürzen sie ihn herunter.
Nachdem sie ausgetrunken hat, lehnt Praiala sich zurück, hält aber den Becher umklammert, um den letzten Rest Wärme mit ihren Händen aufzunehmen. Quin liegt reglos auf dem Schlafsack, das Bein hochgelagert, an einen Baumstamm gelehnt, und lässt den Kopf hängen. Nach einer Weile glaubt Praiala schon, er wäre eingeschlafen.
Aber Quin denkt an Ron. Er weint ganz leise vor sich hin. Seine Trauer ist ansteckend. Die Unfassbarkeit des Verlusts überwältigt ihn. Der erschöpfende Marsch hat die Gedanken an die Grausamkeiten, die sie miterlebt haben, verdrängt, sein misshandelter Freund ist ihm kaum in den Sinn gekommen. Aber nun ruhen sie sich aus, und das Bild von Ron, wie er da zerfetzt im Baum hing, kehrt in ihr Bewusstsein zurück, steht ihnen in seiner ganzen Grausamkeit vor Augen. Quin legt sich in den Schlafsack und bedeckt sein Gesicht. Seine Schultern beginnen zu zucken und bewegen sich im Rhythmus des Schmerzes, der ihn erfasst hat. Praiala starrt mit leerem Blick auf die Bäume, durch die sie am Nachmittag hierhergetaumelt sind, ihre Augen brennen und sie merkt, wie ihr Blick sich trübt.
 
"Quin, hör mal", sagt Praiala, als die Kälte und der Nieselregen ihnen trotz ihrer unbeschreiblichen Trauer immer mehr zusetzen.
Nach einer Weile konmt Quins Antwort: "Was?" Aber er bewegt nicht mal den Kopf.
"Ich werde den Baum da hinaufklettern. Und von dort oben einen Blick auf die Umgebung werfen. Vielleicht sehe ich ja den Waldrand. Wer weiß."
Quin richtet sich jäh auf und zuckt vor Schmerz zusammen. Seine Augen sind gerötet. Als er den Baum sieht leuchten sie auf.
Praiala deutet auf den Baum. "Ich glaube, ich kann ein paar von den flachen Steinen zu einer Treppe aufschichten und dann von dort aus hochspringen, um den untersten Ast zu erwischen. Wenn ich es schaffe, mich hochzuziehen, ist der Rest so einfach, wie eine Leiter hinaufzusteigen, nur ein bisschen höher. Auf halber Höhe, wo die Äste weniger dicht sind, sollte ich was erkennen können."
Quin nickt. "Das könnte klappen."
"Deshalb wollte ich, dass wir hier hochsteigen. Es hat uns beinahe umgebracht, aber es ist ein guter Platz. Zwar ist es hier nicht sehr geschützt, aber wir haben ja den Unterstand, der den Regen abhält. Vielleicht können wir sogar das Feuer über Nacht brennen lassen. Quin, es wäre gut, wenn du ein bisschen trockenes Holz suchst. Im Gestrüpp dort, dicht am Boden. Rinde. Da sind auch viele Zweige. Zum Anfeuern. Wir lassen es dann möglichst die ganze Nacht brennen. Aber geh nicht zu weit vom Lager weg."
Quin schaut Praiala an und scheint ihr zuzustimmen.

"Wenn du irgendwas hörst, schreist du."

"Geht klar."

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Mon Oct 15, 2018 4:07 pm

Praiala bemüht sich, nicht nach unten zu sehen.
Zweimal ist sie auf der nassen Rinde des Astes, auf dem sie steht, schon ausgerutscht. Ihre Finger krallen sich um einen Zweig, der über ihr hängt. Sie packt mit solcher Kraft zu, dass jedes Gefühl aus ihrer Hand weicht und ihre panischen Gedanken sich beruhigen. Der Schweiß auf ihrer Stirn kühlt ab. Ihr Atem geht heftig, aber sie zwingt sich, ruhiger zu werden und in einem normalen Rhythmus ein- und auszuatmen.
Sie könnte sogar noch weiter hinaufklettern, aber sie ist schon ein ganzes Stück über den Baumwipfeln, die am Fuß der Anhöhe wachsen. Als das Zittern in ihren Beinen nachlässt, wagt sie einen Blick nach oben und dann um sich herum, späht durch die knorrigen, stacheligen Äste der Fichte, die sich vom Baumstamm in alle Richtungen ausbreiten.
Zum ersten Mal seit sie den Wald betreten hat, kann sie meilenweit sehen.
Viele Meilen in jede Richtung. Und sie kann den Waldrand erkennen. Fast bricht sie in Tränen aus. Er scheint so nah zu sein. Beinahe würde sie diese Neuigkeit zu Quin nach unten brüllen, aber dann sieht sie sich schon das Gleichgewicht verlieren und fallen, und sie bleibt ruhig.
Sie kneift die Augen zusammen und versucht in der Ferne noch mehr zu erkennen. Der Waldrand liegt im nebeligen Dunst des Nieselregens, man kann keine deutlichen Umrisse ausmachen, nicht einmal einzelne Bäume sind dort zu sehen. Also liegt er weiter entfernt, als sie zunächst angenommen hat. Aber immerhin in Reichweite. Vielleicht zwei Meilen entfernt. Eher wohl drei. Und genau im Osten, wie sie richtig vermutet hatte.

Aber sie hat sie auch mehrere Meilen in südliche Richtung geführt. Diese Route führt in ein wucherndes grünes Durcheinander, über dem dichter weißer Nebel hängt, der kein Ende zu nehmen scheint. "Mein Gott." Würden sie weiter nach Süden vordringen, würden sie den inneren Bereich, das Herz der Brache betreten. Dieser Baum hier hat ihnen gerade das Leben gerettet.
Praiala kommen Gesichter und Straßen und Gebäude in Gareth in den Sinn, die sie gerne wiedersehen will.
Der Geruch von Ergan's Haar als sie sich in sprühendem Übermut am Fest der Freuden von ihren Familien davonstahlen um ihre erste Nacht miteinander zu verbringen.
Ein dunkles würziges Bier. Der Gesang des Tempelchors in dem sie es als Kind liebte zu singen.
Der geschmack der gefüllten Perlhuhnbrust die ihre Mutter immer zum Praiosfest zubereitet.
Der Blick aus dem Fenster ihres Kinderzimmers bei Sonnenaufgang von wo aus sie das Blitzen der in der Morgensonne glänzenden Dächer sehen kann, allenzuerst das goldene Haupt des Tempels der Sonne.
Die geduldigen Gesichter ihrer Eltern. Sogar der ramponierte und muffige Schreibtisch im Archiv der Heiligen Schriften, in dem sie jahrelang studierte. Sie würde jede einzelne Sekunde dort zu schätzen wissen, wenn sie wieder nach Hause käme, würde ihren Eltern sagen, dass sie sie liebt und wie unglaublich sie sich freut, sie wiederzusehen, jeden Tag aufs Neue. Ihr wird schwer ums Herz. Raus, raus, raus, schreit eine dünne Stimme in ihrem Kopf. Sie ertappt sich dabei, wie sie vor sich hingrinst. Das erste Mal seit dem Beginn ihrer Prüfung. Es fühlt sich merkwürdig an in ihrem angespannten Gesicht. "Lieber Herr Praios, ich danke dir." Sie wird überleben. Sie wird noch länger als nur ein paar Tage leben dürfen. Ein dünner Hoffnungsschimmer breitet sich am Horizont aus, packt sie und nimmt ihr den Atem. Sie schließt die Augen.
Vielleicht sollte sie heute Abend schon losziehen. Nachdem sie sich ausgeruht und ihren letzten Proviant verzehrt hat. Ihr schwindelt beinahe vor Begeisterung, als sie sich in rasender Geschwindigkeit die neuen Möglichkeiten vor Augen führt. Sie erbebt und reisst die Augen wieder auf.
Ganz langsam holt sie den Südweiser aus der Jackentasche und hält ihn vor sich, um eine genaue Route festzulegen, aus dem Wald heraus und dem entgegen, was wie eine lange Formation von unbewachsenen schwarzen Felsen aussieht, und weiter über eine ausgedehnte, mit Büschen bewachsene Ebene. Nebel wabert über diese freie Fläche in der Ferne. Es ist ein Geröllfeld oder eine steinige Heidefläche, und irgendwo dort muss auch die Reichsstraße sein, die in südlicher Richtung nach Almada führt. Dorthin würde ihr nichts folgen. Dieses Ding will nicht gesehen werden, sagt sie sich. Es kriecht lieber über die Ruinen und Überreste vergangener Zeiten.

Vorsichtig dreht sie den Kopf, ohne die Beine zu bewegen, und starr hinab auf den Ast, der ihr ganzes Gewicht trägt, um sicherzugehen, dass ihre Füße sich nicht plötzlich selbstständig machen. Dort, zwanzig Schritt unter ihr im Unterholz sieht sie den kleinen Unterstand. Sie hebt den Blick wieder und entdeckt sogar den Pfad, auf dem sie diese gottverlassene Wildnis betreten hat. Dahinter kann sie die ungleichmäßige Silhouette des Dörfchens Aveshain erkennen. Ungefähr ein Drittel der Strecke, die sie bereits zurückgelegt hat, bleibt noch übrig bis zum östlichen Rand des Waldes. Wenn sie allein geht, ohne von Quin gebremst zu werden, würde sie, nachdem sie sich ausgeruht, viel Wasser getrunken und ihren letzte Ration gegessen hat, den Waldrand möglicherweise schon gegen Mitternacht erreichen. Das bedeutet, dass sie drei Stunden lang nur mit der Sturmlaterne als Lichtquelle unterwegs sein würde. Vielleicht wäre es doch besser, bis morgen früh zu warten, dann kann sie um die Mittagszeit das Ende des Waldes erreichen, wenn sie es riskiert, eine weitere Nacht hier zu verbringen.

Bevor sie sich entscheiden kann, wann sie sich zum nächstliegenden Ausgang aus dieser grünen Hölle durchschlagen wird, ertönt unter ihr eine laute Stimme. Etwas unartikuliert, sie ruft einen Namen: "Praiala, Praiala, Praiala." Jede Wiederholung klingt lauter und verzweifelter, bis die Stimme schließlich laut schreit.
Oben zwischen den Ästen ist Praiala unfähig, einen Fuß zu bewegen. Ihre Hände umkrampfen die Zweige. Der dicke Ast, auf dem sie steht, brennt unter ihren Füßen und scheint mit ihrem Fleisch verschmelzen zu wollen.
Es ist gekommen, um ihn zu holen. Es kann mich hier oben nicht sehen. Beweg dich nicht, beweg dich nicht. Es ist noch immer hell, du kannst weglaufen. Warte noch. Warte hier oben. Warte ab.
Aber dann senkt sich ihr Kopf und hebt sich wieder, senkt sich und hebt sich, und sie schaut durch die Zweige hindurch hinab zu ihrem Kameraden. Sie dreht den Oberkörper vorsichtig zur Seite und späht durch das grüne Gewirr und die schwarzen Äste hindurch nach links unten, wo die Schreckensschreie und Hilferufe herkommen.
Dort ist der Unterstand. Aber wo ist Quin?
Da steht er ja, aufrecht, einige Schritt entfernt von dem mit Laub bedeckten Dach und sieht leicht nach vorn gebeugt den Hügel hinab. Aber jetzt schreit er nicht mehr.
Praiala beginnt mit dem
Abstieg
Klettern
MU
GE
KK
TaW
Mod.
15
13
12
8
-5
136:0
TaP*
Anmerkung: Die Erschwernis setzt sich wie folgt zusammen:
+0 Schwierigkeit der Probe (WdS 13)
-5 Höhenangst
.

Ihre Beine zittern, während sie verzweifelt versucht, durch die Zweige hindurch einen Weg nach unten zu finden, der ihr aber immer wieder von dem grünen Dach verstellt wird, das ihr Halt suggeriert, aber nicht bietet, bis sie endlich mit den Füßen die Äste findet, auf denen sie hochgeklettert ist. Sie bemüht sich, nur direkt vor sich zu sehen, damit sie ihre Füße sicher platzieren kann, nicht weiter. Bloß nicht bis hinunter auf den weit entfernten Boden schauen, auf den sie fallen könnte, wenn ihr schwindelig würde. Wenn sie den Halt verliert, würde sie sich zweifellos den Hals brechen.

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Tue Oct 16, 2018 6:11 pm

"Quin!", ruft sie laut. Und noch mal: "Quin!" Sie bekommt keine Antwort. Trotzdem steigt sie weiter nach unten, Ast für Ast. Ihre Stimme klingt kraftlos und kläglich, irgendwie lächerlich so weit hier oben. Mit zittrigen Knien rutscht sie über die feuchten Äste, die viel zu weit voneinander entfernt liegen, um ihr einen bequemen Abstieg zu ermöglichen. Verzweifelt drängt sie sich an den Baumstamm, um nicht zu fallen. Sie klettert hinab wie eine verängstigte Blinde, die eine Leiter hinuntersteigt und weiß, dass sie in den Tod stürzt, wenn sie ausrutscht. Ihr ganzer Körper bebt vor Angst und Anspannung, Adrenalin strömt durch ihre Adern. Ast für Ast, bis sie an den Armen über dem Erdboden schwebt und sich schließlich auf den steinigen Grund fallen lässt.
Stechende Schmerzen schießen durch ihre Füße, sie taumelt zur Seite und fällt mit dem Gesicht voran auf eine knorrige Wurzel, die aus dem felsigen Boden herausragt. Der Schmerz, den sie jetzt spürt, klärt ihren Kopf und macht sie wütend. Sie erhebt sich auf die Knie, richtet sich auf und steht auf wackeligen Beinen.
Ihre Augen suchen die Umgebung ab, nach dem, was sie eigentlich gar nicht sehen will. Nach diesem länglichen Monstrum, das sie sich vorstellt, schwarz, unförmig. Und mit einem feucht glänzenden, schwärzlichen Maul.
Aber sie sieht nur den Unterstand, dem Quin den Rücken zuwendet, während er über seine Schulter hinweg irgendwo hinschaut. Und um das Lager herum den felsigen Untergrund, die grauschwarzen Steinbrocken, das dunkle Moos und die gelblichen Flechten, ein paar vereinzelte Bäume auf dem Gipfel, die ums Überleben kämpfen und sich dem Himmel entgegenrecken. Ein kleiner Haufen Feuerholz, der sich schon angesammelt hat, liegt neben Quin, als hätte er ihn dort fallen lassen.
Praiala hört den eigenen Atem so laut, dass es sie beinahe taub macht. Ihr regennasses Gesicht wird noch feuchter vom Schweiß, der ihr ausbricht. Tropfen rinnen ihr in die Augen und verzerren ihre Wahrnehmung. Ohnehin sieht sie von überall um sich herum das Schlimmste auf sich zukommen. Am liebsten würde sie laut schreien und davonlaufen, egal wohin. Panik erfasst sie. Sie ruft etwas, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, dann zwingt sie sich ganz still zu stehen und ihre Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen.
Jetzt sieht sie wieder klarer. Ihr Blickfeld öffnet sich, und sie kann wieder so weit sehen wie vorher, als sie noch nicht in Panik geraten war. Sie kommt wieder zu sich. Und dann bemerkt sie, dass Quin auf sie zurennt.
Sie sieht Quins viel zu weit aufgerissene Augen, er wirkte völlig entgeistert. Sein Mund steht sperrangelweit auf, er keucht und stößt unkoordinierte wimmernde Laute aus, die sich mit wildem Luftschnappen abwechseln.
Er klammert sich an sie wie ein Ertrinkender. Grabscht nach Praialas Jacke, rutscht aus, fällt auf die Seite und zieht die Geweihte mit sich zu Boden. Sie stürzen aufeinander, treten um sich, bemühen sich verzweifelt um Halt und versuchen, sich gegenseitig fortzuschieben, können sich aber nicht voneinander lösen, weil Quin sich krampfhaft an ihre Jacke klammert. Der Stoff unter Praialas Achseln zerreißt, die Nähte lösen sich und alles geht in Fetzen.
"Quin", ruft sie mit erstickter Stimme. "Lass doch los." Aber Quin hängt an ihr wie an einem Floß im Wildwasser. Er will nicht allein untergehen, er klammert sich an das Einzige, was ihm in seiner Umgebung überhaupt noch Sicherheit vermittelt.
"Lass los", brüllt Praiala ihm direkt ins Gesicht. Aber Quin wimmert nur und stößt hervor: "Der Baum ... er frisst ... er … wurde … wurde …"
Bis Praiala seinen schweißüberströmten Kopf mit beiden Händen packt, drückt und laut schreit: "Hör auf, hör auf!" Er schüttelt seinen Kopf, in dem die Augen unnatürlich hervortreten. Bis sein Gesicht völlig entgleist. Quins Griff erlahmt, er lässt die Stofffetzen los, erschlafft und fällt zur Seite. Dort bleibt er liegen und schlägt die schmutzigen Hände vors Gesicht.
Praiala stößt sich vom Boden ab, richtet sich auf und zieht ihre Jacke aus. Dann sucht sie nach ihrer wattierten Unterkleidung und legt sie an. Sie fühlt sich kalt und klamm an, feucht vom Schweiß des auszehrenden Marsches und dem allgegenwärtigen Nieselregen. Dann legt sie das Kettenhemd an und nimmt das Sonnenszepter in die noch zitternde Hand. Die geschliffenen Zacken des Sonnenförmigen Kopfes der Waffe glänzen im dämmrigen Zwielicht, das sich auf diesem verlassenen Hügel ausbreitet.
Sie lässt Quin liegen und geht weg. Dorthin, wo Quin zuletzt nach Feuerholz gesucht hatte.

Als sie den Platz erreicht wo Quin gestanden hatte schluckte sie schwer.
Direkt vor ihr wächst ein unnatürlich breiter Eichenbaum von seltsam widerwärtiger Gestalt, dessen sonderbare Wurzeln sich zwischen den schweren, mit Flechten bewachsenen Steinblöcken, tief in den felsigen Untergrund graben. Der missgestaltete Stamm wirkt wie vom Blitz gespalten und das faulige Kernholz scheint als wäre es auf grotesker Weise einer jungen Frau oder dem vom Tode entstellten Körper einer Jungfrau so ähnlich, dass der Geweihten ein kalter Schauer über den Rücken läuft.
Unzählige missgebildete, knotige Wurzeln sind mit dem Körper verwachsen, dringen in das Fleisch ein wie in frischen Humus. Die Haut der menschenähnlichen Verwucherung ist von schwarzem Moder und fauler Rinde bedecke, fette Schwämme haben sich darauf gebildet und zehren gierig von ihrer feuchten Nahrung.

Dann bewegt es sich.

Zuerst hat Praiala es für den Wind gehalten, der den dicken Baum knarrend hin und her schwanken lässt. Doch dann erkennt sie, dass sich der Brustkorb des modrigen, mit dem Baum verwachsenen, Körpers hebt und senkt wie unter langsamem, kräftezehrendem Atem.

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Sun Oct 21, 2018 8:53 am

Das Geräusch von brechender Rinde vermischt sich mit dem Rascheln von Insekten als der Brustkorb sich weitet und der Mund sich öffnet. Geräusche die wie Wortfetzen klingen dringen an Praialas Ohren.
Li...era...te...me...x..infer...is...
Hatte die Gestalt "Liberate me ex infernis" (bosparan. für "Rette mich aus der Hölle") gesagt?
Oder bedeutet es "Libera temet ex infernis" (bosparan. für "Rettet euch aus der Hölle")?
Die Bewegung des Brustkorbes wird krampfhafter.
Gerade rechtzeitig weicht die Praiotin zurück denn eine Wolke schillernder Pilzsporen verteilt sich explosionsartig aus dem geöffneten Mund der Gestalt.
Nur ein paar wenige inhaliert Praiala und bekommt davon einen schmerzhaften Hustenanfall. Ihr Brustkorb fühlt sich an, als würde er in einem Schraubstock zusammengequetscht.
Die Vögel sind verstummt, kein Windhauch ist zu spüren, sogar der Regen scheint wie unter Schock aufgehört zu haben.

Erschrocken beobachtet Praiala wie das Wesen im Baum zuckend zur Ruhe kommt während die Sporenwolke langsam zu Boden sinkt. Komplett von Moder und Rinde bedeckt ist die nun reglose Gestalt im Baum so gut verborgen, dass ein unaufmerksamer Wanderer glatt an ihr vorbeilaufen könnte ohne sie zu bemerken.
Natürlich könnte es sich um eine untote Kreatur handeln, oder eine von dämonischer Kraft gefesselte Seele. Genausogut könnte es jedoch auch ein Auswuchs der dämonisch beseelten Pflanzenwelt der verfluchten Brache sein.
Heiliger Gilborn, was für niederhöllische Teufelei.
Die Worte, wenn auch nur bruchstückhaft, sind eindeutig die Sprache des Alten Reiches, welche von den Bosparanischen Legionen gesprochen wurde, die unter Kaiser Fran Horas in der Ersten Dämonenschlacht gegen das Garether Heer kämpften.

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Thu Nov 01, 2018 12:16 pm

"Ich hab … ich hab gesehen wie es sie aussaugt. Es frisst sie. Aber sie atmet noch. Bewegt sich. Versucht sich zu befreien. Ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Das schwör ich. Ich war nur ein paar Schritt entfernt. Ich hab mich um das Feuerholz gekümmert. Hab mich gebückt, um etwas aufzuheben. Dann hörte ich ... es …" Quin gelingt es, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken und er spricht völlig ausdruckslos und leise zu Ende: "Deshalb hat es Ron auf einen ... Baum ... gehängt ..."
Praiala hockt sich neben ihn, das Sonnenszepter noch immer in der Hand. Sie wendet den Blick ab von Quin und dem Unterstand und lässt ihn über die umliegenden Steine und Felsbrocken schweifen, um sicherzugehen, dass sich ihnen nichts nähert.
"Beim heiligen Gilborn." Was für ein Dämonenverfluchter Ort. Sie stellt sich vor wie Ron's Körper, den sie zwischen die Wurzeln des Baumes auf dem er aufgehängt war gelegt haben, jetzt vielleicht gerade irgendwo dort unten im undurchdringlichen Schatten des Waldes von so einem Dämonenbaum ausgesaugt wird … Dass seine Seele vielleicht von Niederhöllischer Zauberkraft gebunden und geknechtet wird.
Sie hält inne und verdrängt den Gedanken, denn es ist alles ohnehin schon viel zu schlimm.
Bei den guten Göttern. Das kann einfach nicht sein. Das alles hier. Vielleicht würde sie, wenn sie nicht so müde wäre, wenn nicht jeder Muskel unter ihrer schweißbedeckten Haut höllisch wehtun würde, wenn die Erschöpfung sie nicht übermannte, ganz einfach wahnsinnig werden. Nach 24 Stunden in der Brache ist sie am Rand des totalen Zusammenbruchs. Ihre Persönlichkeit verschwindet, übrig bleiben nur Instinkt und Angst. So fühlt sich wohl ein Hase. Hier muss man kein empfindsames Wesen sein, sondern einfach nur die ganze Zeit Angst haben und schnell sein, wenn die Welt um einen herum sich plötzlich in eine Bedrohung verwandelt. Wenn es zu ruhig ist und alles einfach erscheint, dann kommt der Tod.
Sie sollte jetzt gehen. Sich allein auf den Weg machen. Das sollte sie wirklich tun. Sie steht auf und schaut auf der anderen Seite des Hügels hinab. Dieses Ding ist noch da draußen. Wenn sie sich trennen, ist es vielleicht irritiert. Sie sollte das letzte Licht des Tages nutzen und ihre letzten Kräfte, um loszulaufen und nicht mehr zurückzusehen.
Aber würde das Ding sie dann beide heute Nacht umbringen? Zuerst den hilflosen Quin hier oben, der einsam unter dem Blätterdach des Unterstandes sitzt, und dann sie irgendwo dort unten im Unterholz, wenn sie völlig erschöpft und kaum noch bei Bewusstsein voranstolpert. Sie wären eine leichte Beute.
Der Traum. Die Stöcke.
Quin sieht sie entgeistert an. Ihre Augenränder sind gerötet. Sie ist schmutzig, verletzt und völlig zerzaust und trägt ihre komplett vom Moor schwarz verdreckte Rüstung. Sie sieht wirklich merkwürdig aus. Etwas ballt sich in Praialas Brustkorb zusammen. Sie schaudert. Dann geht sie in die Knie und legt einen Arm um Quins Schultern. Schliesst die brennenden Augen. Quin zittert heftig, aber seine Hand legt sich um Praialas Hüfte, und er klammert sich an sie wie ein Kind, das furchtbare Angst hat.
Inmitten des unaufhörlich nieselnden Regens sitzen sie da und halten sich eine ganze Weile lang fest.

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Wed Nov 14, 2018 12:17 pm

Die Dunkelheit bricht herein, und es wird kein Feuer geben. Nur ihre Sturmlaternen und die kleine rußende Flamme die sie mit Öl und Zunder auf dem feuchten Reisig entzündet haben, und sowohl Lampenöl als auch Zunder müssen sie sich bis zum Morgen gut einteilen. Sie sitzen Rücken an Rücken vor dem Unterstand, nachdem sie ihren letzten Proviant verzehrt haben. Das beruhigt sie für eine gewisse Zeit. Der dünne Zustrom an Nährstoffen in ihrem Blut führt dazu, dass sie ihre Fassung wiedergewinnen und sich wieder halbwegs normal fühlen.
Von Südwesten her kommt ein stetiger kalter Wind. Die Bäume unterhalb der Anhöhe werden hin und her bewegt, und es wirkt, als würde der Wald immer wieder ungeduldig ein- und ausatmen. Der Regen hat aufgehört, aber die Luft ist unangenehm kühl. Um sie herum breiten sich die Schatten der Nacht aus, unter dem Himmel hängen dicke dunkle Wolken. Schon bald werden sie nichts mehr sehen können.
Sie sitzen auf Praialas Schlafsack, um sich vor der vom felsigen Boden aufsteigenden Kälte zu schützen. Jeder sucht mit den Augen die Umgebung im Winkel von 180 Grad ab. Sie halten Wache, zwei einsame Gestalten, die verzweifelt versuchen, nicht an das zu denken, was Ron widerfahren ist.
Quin bricht in freudloses Lachen aus und bricht damit das lange Schweigen, das begonnen hatte, als sie sich gegenseitig umarmten. "Mein ganzes beschissenes Leben, in dem ich Alles falsch gemacht habe … jetzt sehne ich mich danach zurück. Es ist total verrückt."
Praiala spürt das Gewicht von Quins Schultern, das immer mehr auf ihr lastet. Sie hätte nie gedacht, dass ein Körper so schwer sein kann, so massig. Sie räuspert sich. "Das ist doch nicht schlimm." Sie starrt in die Ferne. "Ich bin auch mit meiner Weisheit am Ende. Mit meinem ganzen Leben. Schon seit Langem." Sie lächelt verkniffen vor sich hin, mit bebenden Lippen. "Aber warum kommt mir das jetzt alles auf einmal gar nicht mehr so schlecht vor? Wirklich alles." Praiala atmet auf. Ihr Glaube ist alles was ihr geblieben ist, und dennoch, oder vielleicht genau deshalb, fühlt sie sich entschlossener und sicherer als je zuvor, den Weg der vor ihr liegt weiter zu gehen.
"Mensch", erwidert Quin, "ich wünschte, ich wäre wieder zu Hause. In meiner beschissenen kleinen Wohnung mit einer Tasse Tee in der Hand."
Quin lacht wieder vor sich hin und Praiala fällt mit ein, bis Quin jäh innehält und tief durchatmet. "Oh Mann, ich liebe meine Kinder. Und ich werde sie nicht mehr …" Und dann beginnt er, leise zu weinen und hält sich an Praiala fest.
Die Geweihte spürt einen Kloß im Hals. Sie schüttelt den Kopf. Dann weicht ihre Entschlossenheit wieder der Verzweiflung. Sie starrt stumm in die Gegend, während das Tageslicht versiegt und sie allmählich immer weniger erkennen kann. Die kalte Luft streicht über ihre Wangen und lässt ihre Gedanken düsterer werden.

Quin weint leise vor sich hin. Die wahre Bedeutung des Verlusts seines Freundes wird von einem inneren Mechanismus in seinem Kopf unterdrückt. Aber dennoch muss er immer wieder an die monströsen Vorgänge um sein Verschwinden denken, die er nicht in Worte fassen kann. Es ist einfach unvorstellbar, und diese Tatsache lässt ihn verstummen.
Dann richtet sich seine Erschütterung und seine Trauer auf seine Frau und seine drei kleinen blonden Mädchen die in der kleinen Mietswohnung in Meilersgrund auf ihren Vater warten, und er kann seinen vagen Gefühlszustand nicht mehr aufrechterhalten.
Wie wird ihnen die schreckliche Nachricht übermittelt werden? Wer könnte so etwas erklären? Wie wird so etwas überhaupt gemacht?

Quin hat eine Frau und Kinder. Praiala muss schlucken. Ihre Lippen zittern, und ihre Augen brennen. Sie versucht, alles herunterzuschlucken, aber es geht nicht. Auch ihre Beine und Hände zittern.
Sie stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie selbst nicht mehr nach Gareth zurückkäme. Sie denkt an ihre Eltern, ihre Schwester, ihre Tante. Sie würden die Last der Trauer tragen und sie in Erinnerung behalten. Beides würde im Laufe der Zeit verblassen. Aber eine ganze Weile würden sie leiden. Sie würden womöglich in der Stadt des Lichts mit den Ordensmitgliedern der Heiligen Inquisition sprechen, und auch mit Praialas Gefährten. Würden abwarten, dass Suchtrupps zurückkommen, mit leeren Händen und enttäuschten Gesichtern. Sie stellt sich das sorgengeplagte Gesicht ihrer Mutter vor, und wie ihr Vater den Arm um ihre schmalen gebeugten Schultern legt. Vielleicht würde sie ja im Aventurischen Boten erwähnt werden: Angehende Inquisitorin auf ihrer Prüfung in der Dämonenbrache verschwunden.
Oh Mann. Quin hat Familie, Kinder. Wahrscheinlich hat er auch eine Frau. Eine Ehefrau, verdammt. Und Ron? Sicher hat auch Ron Familie.
Die Gedanken daran sind für die Geweihte kaum zu ertragen. Ihr stockt der Atem, als sie Gesichter von geliebten Menschen vor sich auftauchen sieht, verwirrt und voller Trauer. Die Bilder verschwinden und kommen ihr kurz darauf wieder in den Sinn. "Um Himmels willen, Quin", sagt sie leise.
Quin blickt zu ihr und schluckt schwer.
Praiala kann sich nicht beruhigen. Es ist so wie damals in der kleinen Schenke am Stadionmarkt, als sie mit Ergan diese Wasserpfeife geraucht hatte. Bis zu diesem Moment war sie noch nie dermaßen verängstigt gewesen, hatte sich noch nie so entsetzlich davor gefürchtet, dass sie die Kontrolle verliert und nicht mehr in der Lage ist, sich Selbst wiederzufinden. Damals war es ihr vorgekommen, als würden ihre Erinnerungen in rasendem Tempo in der Zeit zurückgehen und sich selbst vernichten. Es hatte erst aufgehört, als sie kotzend und nach Atem ringend im Abort gelegen hatte. Und nun bricht eine ähnliche Panik über sie herein, eine Angst, die alles verzehrt und mit einem Schrecken verseucht, der jede andere Wahrnehmung unmöglich macht. Ihr Herz pocht bis zum Hals, unter ihrem Haarschopf bricht der Schweiß aus und rinnt ihr in die Augen.
Das ist nur natürlich, sagt sie sich. Lass es einfach geschehen. Irgendwann ist der Schmerz verbrannt, dann hört er von allein auf.
Praiala holt dreimal tief Luft und reibt sich über die Augen, bis der Panikanfall nachlässt. Sie öffnet die Augen wieder, als ihr Herzschlag sich beruhigt. Mit zitternden Fingern zieht sie ihr geweihtes Amulett unter dem Kettenhemd hervor.
Sie bemüht sich, ihre Hände ruhig zu halten, während sie es in der gewohnten Geste zum Gebet führt. Es gelingt ihr nicht. Sie versucht es wieder. Und scheitert. Versucht es erneut. Ihre Hände sind noch nie so schmutzig gewesen. Schwarz bis unter die Nägel. Ob sie sie jemals wieder sauber kriegen wird?
Mit bebender Stimme beginnt die Praiotin zu beten: "Goldene Sonne, in himmlischer Pracht. Hältst du ewig in Alveran Wacht."
"Uns zu erlösen", stimmt Quin leise mit ein.
"Von allem Bösen."
"Aus der Nacht."
Ihre Blicke treffen sich und das Gewicht das Praiala auf ihren Schultern fühlt scheint sie zu übermannen.
Sie erinnert sich an ihre Gesichter als sie Ron und Quin gefunden hat. Da waren es noch normale, lebendig dreinblickende, ausdrucksvolle Gesichter gewesen. Sie erinnert sich noch sehr genau an den Ausdruck von Überraschung, Schock und Angst, den sie bemerkt hat. Wie Kinder haben sie ausgesehen. Wenn wir uns ängstigen und wenn wir verletzt werden, sind wir denn dann etwas anderes?

"Quin, wir schaffen das." Sie bringt die Worte kaum heraus.
Quin blickt verzweifelt an ihr hoch.
"Ich weiß nicht. Ihr seid eine Geweihte des Götterfürsten. Praios wacht über euch. Und ich bin ein Sünder. Und manchmal sogar ein ziemliches Arschloch. Mein Leben ist sowieso im Arsch."
Wieder sitzen sie schweigend da, bis Praiala das Wort ergreift. "Glaubst du eigentlich, dass überhaupt jemand glücklich ist?"
"Schwer zu sagen."
"Es ist doch alles nur Selbstdarstellung heutzutage. Die Leute ziehen sich gut an, gehen zum Tempel am Praiostag, tun so als wäre ihre Leben eitler Sonnenschein. Bei der Beichte erfährt man dann, dass die wenigsten wirklich glücklich sind. Aber was hat das alles schon für einen Wert, wenn man mit sowas hier konfrontiert wird."
"Hier sind die Voraussetzungen für alle gleich."
"Die ganzen Lügen mit denen wir uns selbst etwas vormachen sind wie weggefegt. Alles was zählt, ist das Überleben."
"So ist es wohl."
"Du kannst das, du wirst es schaffen. Vertraue auf die Götter, gerade jetzt in dieser schweren Stunde. Dein Glaube kann dir mehr helfen als du denkst."
Quin weiß nicht, was er darauf antworten soll. Er blickt Praiala nur an.
"Wir werden hier rauskommen und du wirst zu deiner Familie zurückkehren. Und alle Fehler die du gemacht hast wieder gutmachen."
Quin nickt und seufzt.

Schweigend sitzen sie da. Quins Körper hinter Praialas Rücken fühlt sich jetzt wärmer an.
Praiala dreht sich zu ihm um. "Wir werden es schaffen, Kumpel. Wir werden es schaffen. Morgen. Und erinnere dich an meine Worte. Mach dich nicht selbst fertig. Nicht jetzt. Nicht hier. Du hast dich bisher wirklich gut geschlagen."
Sie schweigen wieder eine Weile. Praiala fühlt sich unbehaglich und schämte sich. Nach dem, was sie Quin gesagt hat denkt sie an ihr eigenes Leben und ihre eigenen Fehler.
"Ich habe in meinem Leben schon so einige Abenteuer erlebt. Und ich weiß, dass ich niemals wirklich herausgefordert wurde. Nicht ernsthaft. Bis jetzt. Ich habe immer die Unterstützung meiner Gefährten gehabt und gemeinsam haben wir viele Hürden überwunden."
Aber nun ist die Zeit gekommen, wo sie sich beweisen muss. Alle Kräfte bündeln muss, um sie beide hier rauszuführen. Wenn ihr das gelingt, dann hätte sie im Namen Praios Quins Seele gerettet. Nichts ist wichtiger als der Kampf um Leben und Tod.
Quins Schulter an ihrer vermittelt ihr das Gefühl, dass sie ihn auf gar keinen Fall allein lassen darf. Nicht heute Nacht, nicht morgen früh, nicht hier draußen in der Brache. Der Gedanke, dass sie allein losgeht und Quin hier unter dem Unterstand zurücklässt, ist einfach unerträglich. Sie stellt sich vor, wie sie zum Unterstand zurückblicken würde, nachdem sie den Hügel hinabgestiegen ist. Und sie stellt sich vor, was dann durch die Bäume preschen würde, um sich ihren Gefährten zu holen und ihn umzubringen.

Sie denken wieder beide an das Gleiche, denn mit einem Mal sagte Quin: "Es ist besser, wenn ihr losgeht."
"Red keinen Quatsch."
"Ich meine das wirklich. Ihr könnt heute Abend noch den Waldrand erreichen, wenn ihr euch beeilt."
Praiala schüttelt den Kopf. "Nein."
"Seid doch keine Närrin. Es ist eure einzige Chance. Mein Bein ist im Arsch. Ich kann es nicht mal mehr beugen. Wie weit werde ich wohl morgen damit kommen? Wenn ich es hinter mir herschleppe und mit meiner jämmerlichen Krücke andauernd hinfalle. Bestimmt nicht besonders weit, das steht mal fest. Also macht euch auf den Weg und holt Hilfe, Praiala. Ich sag das nicht bloß so dahin. Die Leute da draußen müssen erfahren, was uns hier passiert ist."
"Ich kann nicht." Ihre Stimme klingt mitleiderregend und dünn vor dem Hintergrund der kalten feuchten Luft, der Felsen und des Waldes, der in seiner allmächtigen und endlosen Undurchdringlichkeit kaum zu besiegen ist, seiner wuchtigen Präsenz und Allgegenwart.
"Was soll das denn bringen?", fragt Praiala mit leiser Stimme, die jetzt irgendwie älter klingt. Praiala hat sich noch nie in diesem Ton reden hören. Es ist die Stimme der Autorität, einer Inquisitorin.
"Ihr müsst euch eine Chance geben. Ich würde das auch tun. Falls es das leichter für euch macht. Wenn die Situation umgekehrt wäre und ihr wärt verletzt, dann wäre ich schon längst losgegangen. Wenn ihr hier bei mir bleibt, seid ihr dem Tod geweiht."
Praiala schlägt die Hände vors Gesicht und beißt die Zähne zusammen. Sie hat sich noch nie in ihrem Leben so unglücklich gefühlt. Am liebsten würde sie anfangen zu weinen.
Quin senkt die Stimme zu einem Flüstern. Er streckt einen Arm aus, fasst Praialas Oberarm und drückt ihn.
"Bitte, geht. Es wird mich sowieso als Nächstes aufs Korn nehmen. Ihr könnt nicht die ganze Zeit auf mich aufpassen und darauf achten, wohin ihr eure Füße setzt. Das geht einfach nicht. Ihr habt euer Bestes gegeben, aber es gibt jetzt gar keine Alternative mehr. Sonst wird es sich uns beide holen. Zuerst mich, wenn ihr gerade nicht aufpasst. Und dann euch. Ich komme aus diesem Wald morgen nicht heraus, auch wenn ich alles versuche. Und das bedeutet, dass wir noch eine weitere Nacht hier verbringen müssen. Das wisst ihr doch."
Praiala versucht, ihre Gefühlsaufwallung zu unterdrücken, aber es gelingt ihr nicht. "Nein, Quin, nein." Sie schluckt. "Es ist mir egal, wie lang es dauert. Wirklich. Aber wir werden hier zusammen losgehen. Morgen. Ganz früh. In deinem Tempo. Wir gehen, machen Rast, gehen weiter. Und passen aufeinander auf. Wir lassen den ganzen Krempel hier liegen. Wir gehen zusammen oder überhaupt nicht."
Quin drückt ihren Arm noch fester. Er weint und versucht, es zu unterdrücken. Es gelingt ihm nicht, und er wird wütend auf sich selbst. "Scheiße."
"Es ist okay, alles okay."
Quin stöhnt auf und räuspert sich. "Ich hatte mir das alles zurechtgelegt. Und jetzt habt ihr es ruiniert."
Sie schniefen beide, denn ein richtiges Lachen bekommen sie nicht mehr hin.
Quin räuspert sich. "Jetzt habt ihr mir neue Hoffnung gegeben."
Praiala streckt den Arm aus und umfasst Quins Schulter.

Und vom Fuß der Anhöhe, dort unten, nicht mehr als zwanzig Schritt entfernt von ihnen, ertönt ein langes und grässliches Geräusch aus einem unsichtbaren Maul, ein bösartiges Bellen, das den Hang hinaufdringt wie eine Kampfansage, die jeden Rechtschritt in der Umgebung erzittern lässt.

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Wed Nov 14, 2018 12:56 pm

Ein Vogelschwarm erhebt sich in den Himmel und macht sich eilig auf in Richtung Süden, verzweifelt bemüht, eine möglichst große Distanz zwischen sich und das Geräusch zu bringen, das dort unten auf dem Erdboden ertönt. Die Kreatur ist direkt unterhalb des Hügels und bewegt sich mit lautlosen Schritten durch die Bäume auf der südlichen Seite.
Die Farbe des Himmels wechselt von grau zu dunkelblau und schluckt die jämmerlichen Reste des in der Ferne glänzenden Sonnenlichts. Alles, was eben noch sichtbar war, nimmt unklare schattige Konturen an, und die Silhouetten der Felsen werfen lange schwarze Streifen auf den immer undeutlicher erkennbaren Erdboden. Überall breiten sich dunkle Flecken aus, in die ein verängstigtes Gehirn alle möglichen bedrohlichen Formen hineininterpretieren kann.
Quin steht nicht auf. Unter dem struppigen Bart wirken seine schorfigen Lippen dunkelrot, als wären sie mit tiefrotem Wein benetzt. Seine weit aufgerissenen Augen füllen sich mit einem Ausdruck des Wahnsinns. Es ist unmöglich in dieser Atmosphäre des nackten Horrors, die sie unbarmherzig zu Boden zwingt, etwas zu sagen. Praialas linkes Bein zappelt unkontrolliert vor sich hin. Sie steht aufrecht da, ganz steif, und starrt den Abhang hinab, dorthin, von wo das schreckliche Gebrüll gekommen ist. Jeden Moment erwartet sie, dass sich ein langer massiger Schatten vor dem Gestrüpp dort unten abhebt.
Sie kann kaum mehr atmen, als wären ihre Lungen verklebt. In ihrem Kopf geistern völlig verrückte Worte herum, und immer wieder blitzen in ihrem Gehirn kurze Bilder von den verrotteten menschlichen Überresten in der feuchten Grube unter dem Boden des verfallenden Schreins auf.
Irgendwo in ihrer Magengrube hofft sie nun die heiße Wut wiederzufinden, die sie derart in Raserei versetzen würde, dass sie es wagt, dem Monstrum Auge in Auge gegenüberzutreten, wie zu dem Zeitpunkt, als sie den armen Ron im Baum hängend gefunden haben, ausgeweidet mit herabhängenden Gedärmen inmitten der schwarzen knorrigen Äste. Aber sie findet nichts weiter in sich als eine chaotische Leere, in der kein Platz für etwas anderes als nackte Angst ist, eine Angst, die auch jeden anderen davon abhalten würde, sich irgendwelchen kühnen oder verrückten Anwandlungen hinzugeben.
Und dann fängt dieses Bellen von Neuem an, irgendwo zu ihrer Linken im feuchten und morastigen Unterholz, und es wirkt so urtümlich inmitten dieser sumpfigen und felsigen Moderwelt, dass man glauben könnte, es sei ein Teil davon. Das bestialische Grunzen verwandelt sich in ein teuflisches Jaulen, das beinahe klingt, als wolle das Monstrum ihnen mit Worten etwas sagen.
Aus jedem einzelnen Laut, den es von sich gibt, scheinen die unartikulierten Schreie ihrer Vorfahren mitzuhallen. Einst als die Menschen noch keine Symbole oder Worte gefunden hatten, um sich zu verständigen oder Dinge zu bezeichnen, stießen sie Rufe aus, wenn es darum ging, vor etwas zu warnen, das Jagd auf sie machte und den Tod bedeuten konnte. Praiala kommt zu der Überzeug, dass sie hier an diesem dunklen und kalten Ort auf etwas gestoßen ist, das aus den frühen Tagen der Menschheit stammt. Vielleicht is es auch ein Wesen aus noch grauerer Vorzeit. Auf jeden Fall gehört ihm dieses Land. Die Äste und Blätter erzittern, der sumpfige Erdboden erbebt und die Natur in den feucht triefenden Mulden hält den Atem an, wenn dieses Ding erscheint.

Praiala geht auf das Geräusch zu, bis zum östlichen Rand des Hügels, auf dem sie, vielleicht zum letzten Mal, Position bezogen haben. Vielleicht ist eine Begegnung mit ihnen für dieses Ding ja nichts weiter als ein kurzes Aufschnappen willkommener Beute, die sich zufällig auf der Anhöhe aufhält. Ein blitzartiges Zupacken und ein euphorisches Glücksgefühl, das jedes Raubtier spürt, wenn seine heiße Schnauze und sein feuchtes Maul gierig den Duft von warmem Fleisch und dampfend heißem, salzig schmeckendem Blut aufnehmen.
Praiala stellt sich eine narbige dunkle Masse vor, die geduckt über den Erdboden streift. Die sich flink im Schatten bewegt, über Hindernisse hinweg oder unter ihnen hindurch. An all den natürlichen Barrieren, gegen die sie ständig mit ihren Schienbeinen gestoßen oder vor denen sie keuchend zum Stehen gekommen sind, huscht es leichtfüßig vorbei oder schlüpft ganz selbstverständlich hindurch. In unendlich vielen Jahren hat es mit seinen Nüstern und seiner Zunge jeden Zentimeter Waldboden erkundet und alle Einzelheiten im Gedächtnis behalten.
Sie hält das Sonnenszepter in der Hand und sagt sich, dass sie, gegen einen solchen Gegner, nur Zeit für einen einzigen Schlag haben wird. Und den muss sie instinktiv und blitzschnell ausführen. So schnell wie ein Augenzwinkern. Schneller, als wenn sie vor Schreck zusammenzuckt. In genau dem Augenblick, wenn es nach ihrer Kehle schnappt oder ihren Oberkörper aufspießen will. Ein Schlag, eine Chance.
Praiala nähert sich dem Rand des Hügels, geht in die Hocke und hebt den linken Arm, wie es die Trainer von Jagdhunden tun. Die Hand mit dem Sonnenszepter ist bereit für einen gezielten Schlag.

Dann dreht sie sich schneller um, als eine bewusste Entscheidung es ermöglichen würde, und rennt zurück zu der Stelle, wo Quin nach vorn gebeugt sitzt und sie beobachtet. Sie läuft mit weit ausholenden Schritten, ohne darüber nachzudenken, wie sie das Gleichgewicht halten oder ihre Füße auf den schlüpfrigen unebenen Boden setzen muss. So schnell sie kann eilt sie auf die andere Seite der Hügelkuppe, die Waffe fest in der Hand.
Und genau wie ihre aufgestellten Haare im Nacken es ihr zugeflüstert und die feinen Vibrationen in ihrem Innenohr ihr vermittelt und das kalte Blut in ihrem Herzen sie gewarnt haben, kommt die Bestie auch diesmal wieder durch die Hintertür. Blitzschnell, nachdem es einen von ihnen in die andere Richtung gelockt hat.
Hinter dem Unterstand spritzen Kieselsteine auf. Ein Grunzen ertönt, das klingt, als komme es von einem Ochsen, und dann erahnt Praiala, mehr als sie es sieht, einen dunklen Schemen, der sich duckt und dann flink davonstiebt, wie der gleitende Schatten einer Wolke, die sich ganz kurz vor die Sonne schiebt. Da es vom schief stehenden Unterstand und den dahinterliegenden Bäumen verdeckt wird, kann sie nur eine ungefähre Vorstellung von dem langgestreckten, flinken schwarzen Ding bekommen, das nun schnell wie der Blitz den südlichen Hang hinabsaust.
Praiala setzt mit ungelenken, taumelnden Sprüngen über die mit Flechten besetzten Felsbrocken hinter dem Unterstand hinweg, laut keuchend, bis sie schließlich mit einem wilden Aufschrei in dem Pesthauch landet, den irgendein unmenschliches Wesen hier oben auf dem Gipfel hinterlassen hat. Sie rappelt sich wieder auf, an dieser Stelle, wo die Kreatur eben noch gelauert hat, wo sie nach vorn gesprungen ist, um hinter dem Unterstand hervorzukommen und sich Quin zu schnappen, der davor sitzt und in die andere Richtung blickt. Im Windschatten natürlich.
"Verdammt schlau, die Unkreatur."
Deshalb hat Quin nicht bemerkt, wie sich das mächtige Vieh mit seinem nassen, stinkenden ungepflegten Fell und seinem nach vergammeltem Fleisch stinkenden Maul und seinen tierischen Ausdünstungen und seinem ekelerregenden Atem, der aus der riesenhaften Schnauze dringt, herangepirscht hat.
Am Rand des Hügels wirft Praiala einen Blick auf die Baumreihe am Fuß des Hangs. Nichts. Dort ist überhaupt nichts mehr zu sehen.
"Was ist? Wo ist es?", flüstert Quin mit angespannter hoher Stimme, die man kaum wiedererkennen kann.
"Es ist weg. Da runter gelaufen." Praiala sieht über das Dach des Unterstandes hinweg. "Schau nach vorn!"
"Was?"
"Nach vorn!" Praiala rennt zurück zu der Stelle, wo sie vor dem Auftauchen des Unwesens gestanden hatte, während Quin sie erschrocken und begriffsstutzig anstarrt.
Praiala sucht das felsige Plateau ab, die Ränder des Gipfels, die westliche und die nördliche Seite. Nichts.
Sie schüttelt den Kopf, beugt sich vor, stemmt die Arme auf die Oberschenkel und schnappt nach Luft. "Oh Mann."
"Was denn? Wo ist es jetzt?"
Praiala sieht ihn an. "Es hat versucht, mich auszutricksen. Ich wurde von den Geräuschen fortgelockt. Aber von dort kommt es gar nicht. Es kommt von hinten, während man in die falsche Richtung guckt. Es war direkt hinter dem Unterstand."
"Nein!"
Praiala nickt. "Ganz plötzlich wurde mir klar, was dieses Mistvieh vorhatte. Es ist dort hinten auf der Südseite hochgeschlichen. Um dich zu holen."
"Scheiße." Quin richtet sich mühsam auf und stützt sich auf seine Krücke. "Hinter dem Unterstand? Habt ihr es gesehen?"
Sie blicken einander mit weit aufgerissenen Augen an. Praiala schüttelt den Kopf.
"Nein, aber ich glaube, es ist verdammt groß."

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Wed Nov 14, 2018 1:47 pm

"Es ist schon wieder in der Nähe. Hast du’s gehört?"
Aber als Praiala den Kopf dreht, um nachzuschauen, warum Quin nicht antwortet, sieht sie, dass ihr Gefährte die Augen geschlossen hat. Vor Erschöpfung und Angst ist er eingeschlafen. Mehr Trost gibt es in diesem Wald nicht für ihn.
Praiala fasst ihn an der Schulter und schüttelt ihn.
Ganz langsam schlägt Quin die Augen auf. "Bin ich eingeschlafen?" Er spricht schleppend und undeutlich.
"Leg dich unter den Unterstand ins trockene. Du schläfst besser zuerst", sagt Praiala leise und weist mit dem Lichtschein ihrer Sturmlaterne auf das Unterholz vor dem Unterstand. Es ist bereits stockdunkel. Die erste von acht Stunden Dunkelheit ist vergangen.
Sie haben ihre Schlafsäcke ausgebreitet, sich damit zugedeckt und sich Rücken an Rücken vor den Unterstand gesetzt und zugesehen, wie das letzte Tageslicht vergeht. Jeder hält eine Sturmlaterne in den Händen.
Wenn sie sich beide in den Unterstand zurückziehen, würde das ihren sicheren Tod bedeuten. Sie müssen sich mit dem Schlafen abwechseln. Praiala hat das schon früher vorgeschlagen, aber Quin hat sich dagegen ausgesprochen, weil er Angst davor hat, im Unterstand zwischen dem Unterholz zu sein und die Umgebung nicht beobachten zu können. Stattdessen hat er vorgeschlagen, dass sie die ganze Nacht wach bleiben, um aufzupassen.
"Ich werde nicht einschlafen", sagt Praiala. "Du gehst als Erster da rein. Du musst dich dringend ausruhen. Ich halte Wache bis Mitternacht. Du nützt uns nichts hier draußen, wenn du im Sitzen einschläfst."
Aber Quin bleibt weiter draußen vor dem Unterstand, die Schultern gegen Praialas Rücken gedrängt, und lässt den Lichtkegel seiner Sturmlaterne immer wieder über den felsigen Untergrund gleiten. "Entschuldigt, ich werde bestimmt nicht wieder einschlafen. Versprochen."
Eine weitere Stunde geht vorbei, ohne dass sie etwas hören oder sehen.
Praiala erschauert, sie ist geistig völlig abgestumpft. Sie hält ihre Laterne in die Dunkelheit gerichtet. Der Lichtschein ist schon schwächer geworden. Bald schon wird sie den letzten Rest Lampenöl benutzen müssen der ihnen nach dem Entzünden des Lagerfeuers, übrig geblieben ist. Aber im Augenblick fühlt sie sich in dem warmen gefütterten Schlafsack so wohl, dass sie keine Lust hat sich zu bewegen. Noch nicht. Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass sie so etwas wie Bequemlichkeit empfindet.
Quin schnarcht leise vor sich hin, er ist schon wieder eingeschlafen.
Praialas Gehirn sehnt sich ebenso sehr nach Schlaf und dem Vergessen, das mit ihm einhergeht. Trotz der unmittelbaren Todesgefahr fällt ihr Kopf zweimal zur Seite, bevor sie hochschreckt und die Augen wieder aufreißt. Eine kalte nackte Angst durchzuckt sie, und ihr Griff um die Sturmlaterne wird noch fester.
Wenn sie in dieser Nacht nicht schläft, wie kann sie dann überhaupt ernsthaft glauben, dass sie morgen weiterkommen dort unten im dichten Wald, in seinem Reich? Alle Reserven ihres Körpers sind verbraucht, jeder Muskel ist erschlafft und tut trotzdem weh, ihr Rückgrat ist ein Zentrum des Schmerzes. Es ist ziemlich klar, dass Quin nicht wach bleiben wird, wenn er Wache halten soll, während sie selbst sich eine Stunde ausruht. Quin braucht den Schlaf noch viel dringender als sie. Er muss sein Knie schonen. Jede Minute, die er schläft, lässt ihre Chancen ansteigen, den nächsten Tag zu überleben, denn dann wird er morgen aufmerksamer sein, wenn sie ihre letzten Kräfte aufbieten müssen, um sich einen Weg aus dieser urtümlichen Hölle zu bahnen.
Praiala verlagert ihr Gewicht, zieht die Beine an und lehnt sich noch etwas mehr gegen Quins Rücken. Ganz bestimmt wird sie mit angezogenen Knien nicht einschlafen können. Zitternd vor Kälte streckt sie die Hand aus und nimmt Quins Lampe, die ihm in den Schoß gefallen ist. Dann richtet sie die beiden Lampen in Hüfthöhe in entgegengesetzte Richtungen und lässt ihre Lichtkegel zu beiden Seiten des schiefen Dachs des Unterstandes durch das Unterholz gleiten.
Zwanzig Minuten sitzt sie so da, ohne sich zu bewegen, dann noch einmal fünfzehn, schafft vielleicht sogar eine ganze Stunde. Der gleichmäßige Atem ihres Gefährten lullt sie ein, suggeriert ihr Sicherheit. Sie wird ganz bestimmt nicht … Jede Sekunde, die Quin sich ausruht wird ihnen …

Sie reißt die Augen auf, nachdem sie offenbar nur für einen kurzen Moment eingenickt ist. Jetzt weiß sie, dass sie beide nicht allein sind auf diesem Hügel.
Während ein Teil von ihr in ein verlockendes, wohltuendes Koma gefallen ist, hat der andere Teil ihres Bewusstseins Wache gehalten. Irgendwo in ihr gibt es eine lange vernachlässigte, nun aber wiederbelebte Region, die sie auch zu Hause gelegentlich aufrüttelt, wenn sie Geräusche im Haus hört, die kaum lauter sind als das Getrappel der Mäuse oder das Knarren eines Deckenbalkens oder das Vibrieren eines Ofenrohres. Dies ist der Teil ihres Bewusstseins, der auf ungewöhnliche Töne in der Nacht reagiert, der sofort aufschreckt und sie schlagartig wach werden lässt, ohne die normale Übergangsphase durchmachen zu müssen.
Im schwächelnden Licht der Sturmlaterne kann sie nur ungefähr fünf Schritt weit sehen. Den Rand des Hügels kann sie von hier aus nicht einmal mehr erahnen, er ist längst im allgemeinen Dunkel der Nacht verschwunden. Die Steinbrocken in der Nähe des Unterstandes sind noch zu sehen und wirken am Rand des Lichtscheins bläulich, als würden sie selbst ein fremdartiges Licht ausstrahlen. Wenn sie sie direkt anstrahlt, sehen sie hingegen kalt und weißlich aus wie ausgebleichte Muschelschalen.
"Quin."
Der schwere Körper ihres Gefährten drückt noch immer gegen sie, seine Schultern heben und senken sich regelmäßig beim Ein- und Ausatmen. Auf der rechten Seite, zwischen dem Unterstand und dem südlichen Rand des Hügels, glaubt Praiala mit ihrer überempfindlichen Wahrnehmung einen Schatten ausmachen zu können, kaum zwei Schritt von der Stelle entfernt, wo die vorderste Stütze das Dach aus mit Laub bedeckten Zweigen hält. Dieser Schatten ist noch nicht da gewesen, bevor sie eingenickt ist.
"Quin."
Es bewegt sich nicht. Unbeweglich wie ein Felsbrocken, langgestreckt wie ein umgefallener Baumstamm mitten im Wald. Wenn man zufällig dort hinschaut oder den Blick über diese Stelle gleiten lässt, bemerkt man gar nichts. Es ist ein längliches Etwas, das nur ein Mensch, der aufgrund der Gefahr hypersensibel auf alle Reize reagiert und dessen Jagdinstinkt geweckt worden ist, auf den zweiten Blick bemerken kann.
Praiala ist viel zu verängstigt, um ihre Sturmlaterne direkt darauf zu richten. Sie will es nicht sehen.
Sie schluckt. Mit wimmernder Stimme wiederholt sie: "Quin."
Aber ihr Gefährte murmelt nur etwas im Schlaf vor sich hin.
Und dann bewegt sich der am nächsten liegende Teil des Schattens, der nur andeutungsweise und indirekt vom äußersten Rand des Lichtkegels erreicht wird. Hebt sich nicht mehr als ein paar Halbfinger, ungefähr so wie eine Katze, die sich zum Angriff anspannt, um sich urplötzlich auf ihre Beute zu stürzen.
Praiala rückt nach vorn und zwingt ihre steifen Beine in eine hockende Stellung. Dann brüllt sie so laut los, wie es die Kraft ihrer Lungen erlaubt. Sie richtet ihre Sturmlaterne direkt auf den Schatten und lässt die andere Lampe fallen, um nach dem Sonnenszepter zu greifen, das unter ihrem Schlafsack bereitliegt.

Was auch immer den Hügel hinaufgekrochen ist, um sich an sie anzuschleichen, duckt sich und erstarrt, als es den Schrei hört. Inmitten des ruckartig hin und her schwenkenden Lichtkegels versucht ein schwarzer Schatten, sich so flach zu machen, dass er beinahe mit dem Untergrund verschmilzt und unsichtbar wird. Am Rand seiner offenbar behaarten Flanke glänzt etwas Öliges.
Praiala tastet hektisch nach dem Sonnenszepter. Ihre Finger gleiten über das Leder, über die Fellfütterung, über ihr eigenes Bein, fassen ins Leere. "Quin!"
Quin wacht auf. Starr vor Angst drängt er sich gegen seine Kameradin.
Die Zeit steht still. Die Luft um sie herum scheint unter Spannung zu stehen wie in dem Augenblick, bevor es zu einem jähen Ausbruch brutaler Gewalt kommt, wenn ein Raubtier sich auf seine Beute stürzt, um sie zu töten.
Das Ding gleitet rückwärts ins Dunkel jenseits des Lichtscheins, und es klingt schabend, als würde etwas hartes Knochiges über nackte Steine gezogen. Vielleicht ist es ja Einbildung, aber Praiala glaubt, eine längliche Form zu erkennen, etwas das irgendwie spinnenartig seitwärts kriecht und hinter dem Unterstand verschwindet. Und dann bewegt es sich eilig hinein in die schattige Silhouette des kargen Unterholzes. Fast wirkt es, als würde ein massiger Schatten über den Boden davonfließen. Oder auf wunderliche Weise verschwinden und an anderer Stelle wieder Gestalt annehmen. Denn nun richtet sich dort drüben hinter dem Baumstamm jenseits der Reichweite ihres Lichtstrahls etwas auf. Und wird immer größer hinter diesem Stamm, vielleicht sogar um ihn herum, jedenfalls scheint es so, auf kaum sichtbaren Gliedmaßen, die so lang sein müssen, dass sie wie Stelzen anmuten. Oder sind das nur Schatten, die belebt wirken, weil die Lampe in ihrer Hand zittert?
Praiala steht auf. Die Sturmlaterne wirft ein kalt wirkendes Licht auf den Baum, und der schwache Kegel huscht über etwas, das wie dünne Äste wirkt, die vom Wind bewegt werden, vielleicht aber etwas ganz anderes sind.
Quin murmelt etwas Unverständliches vor sich hin, während er nach seiner Lampe und seinem Messer tastet.
Über ihnen und vor ihnen schieben sich die langen dünnen Formen, die eben noch Äste und Blattwerk gewesen zu sein schienen, weiter am Baum nach oben. Was sie da nur ganz kurz andeutungsweise erkennen kann, trifft Praiala wie ein Schlag in die Magengrube, aber dann verpufft dieses Gefühl und zugleich ihre Fähigkeit, überhaupt so etwas wie Schmerz zu empfinden. All das verschwindet mit einem Mal.
Praiala springt um Quin herum und rennt auf den Baum zu. Und in einer blitzartigen Bewegung bückt sie sich und greift nach einem nassen kalten Stein, der auf einem Haufen liegt, mit dem sie einen Stützpfeiler fixiert hatte. Sie schießt nach vorn, hält inne, richtet sich auf, breitet die Arme aus, holt Schwung und katapultiert den Stein wie ein maraskanischer Diskuswerfer mit aller Kraft gegen den Baum und das schattenartige Etwas um ihn herum.
Auf das grässliche Geräusch des dumpfen Aufpralls von Stein auf Fleisch folgt ein erschrecktes Kreischen, so laut, dass ihre Ohren taub werden. Praiala ist durch den Schwung aus dem Gleichgewicht geraten und will sich wieder aufrichten. Aber bevor sie so weit ist, saust inmitten des andauernden Geheuls etwas hinter dem Baum hervor und kracht gegen ihren Schädel.
Ein greller weißer Blitz flammt auf, gleichzeitig durchzuckt sie ein schneidender Schmerz, dann versagen Augen und Gehirn, und sie stürzt hinein in einen finsteren Abgrund.

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Re: Game Thread (IC)

Post by Idrasmine » Wed Nov 14, 2018 3:02 pm

In der Dämonenbrache, Garetien, Mittelreich

Milchiges Licht sickert durch ihre halb geschlossenen Augenlider und verstärkt ihre Qualen. Der unerbittliche Schmerz, der sich in ihrem Kopf ausgebreitet hat, verursacht ihr Übelkeit. Sie ist verwirrt und weiß nicht, wo sie sich befindet. Kopf, Gesicht und Hals sind nass, kalt und verschmiert.
Ihr Kopf fühlt sich an, als wäre er viel zu groß, aufgebläht und unförmig. Etwas Feuchtes hängt über ihrem Auge und hält das Licht ab. Unter ihrem Kopf ist ein Rucksack gestopft worden, der ihr als Kissen dient. Ihr Kopf liegt so schief, dass ihr der Nacken wehtut. Sie stützt sich auf den Ellbogen und blinzelt. Ihr leerer Magen rebelliert.
Über ihr sieht sie das Laubdach des Unterstands. Durch ihre zusammengekniffenen Augen kann sie es erkennen. Sie ist mit zwei Schlafsäcken zugedeckt. Vorsichtig fasst sie sich an die Stirn, wo der bohrende Schmerz, der sich in ihrem Kopf ausbreitet, seinen Ursprung hat. Um ihren Kopf ist etwas weiches Lockeres gewickelt, das an den Ohren und am Hinterkopf fester anliegt. Sie schluckt und spürt ihre ausgetrocknete, geschwollene Kehle. Wasser. Sie muss unbedingt etwas trinken. Sie hustet. "Quin."
Sie hört wie Steine knirschen, als jemand darüber geht. Das Klackern eines Stocks folgt, dann ein angestrengtes Keuchen. Sie dreht sich in Richtung der Geräusche und schließt die Augen, als ein schlimmer Schmerz eine Seite ihres Kopfes durchzuckt. Es tut so weh, dass sie sich beinahe übergibt. Schädelbruch. Oh Scheiße, oh Scheiße, oh Scheiße. Mit einem Mal wird ihr schwindelig. Sie dreht sich wieder in ihre Ausgangsposition und legt den Kopf auf den Rucksack.
"Praiala. Ein Glück, dass ihr wieder wach seid. Ich hab mich schon gefragt, ob ihr im Koma liegt", sagt Quin. Er ist so dicht neben ihr, dass Praiala seinen scharfen Atem und den öligen Geruch seiner dreckigen Klamotten riechen kann.
"Gibt’s noch Wasser?"
"Das letzte ist hier in meinem Wasserschlauch. Ich hab das meiste für euren Kopf verbraucht. Ich musste ihn waschen, bevor ich den Verband anlegen konnte."
Quin drückt Praiala den Wasserschlauch an die Lippen und flößt ihr etwas Wasser ein.
"Wie spät ist es?"
"Schon fast Mittag."
"Oh, nein."
"Ihr seid völlig weggetreten gewesen. Das Ding hat euer Gesicht übel zugerichtet. Ihr müsst unbedingt genäht werden."
"Ist es sehr schlimm?", murmelt sie und kommt sich dumm dabei vor. Woher sollte Quin das wissen?
"Das Gute ist, dass es nicht zurückgekommen ist, nachdem ihr es getroffen habt. Was habt ihr denn gemacht? Es mit dem Sonnenszepter angegriffen? Mann, das war ein unglaubliches Gebrüll! Ihr habt es verletzt. Ihr habt es ganz bestimmt verletzt."
Praiala blinzelt durch ein Auge hindurch, durch das, das sie am leichtesten aufbekommt. "Ich hab einen Stein geworfen."
"Einen Stein?"
"Hmhm."
"Und getroffen."
Praiala versucht zu grinsen, aber das tut schon wieder unglaublich weh. "Wie schlimm ist es denn? Mit meinem Kopf, meine ich. Und erzähl mir keinen Scheiß."
Quin schweigt eine Weile und schaut seine Stiefel an, dann wendet er sich wieder Praiala zu und verzieht das Gesicht. "Ich hab noch nie so viel Blut gesehen, aber das hat nicht unbedingt was zu sagen. Muss nicht heißen, dass es wirklich ernst ist oder so. Im Kopf ist mehr Blut als überall sonst im Körper. Glaube ich jedenfalls. Deshalb sehen Kopfverletzungen immer übel aus."
"Scheiße." Kopfverletzung – dieses Wort macht sie kribbelig, und dann durchzuckt es sie eiskalt. Es könnte wirklich schlimm sein: Schädelbruch oder Gehirnerschütterung, was ihre Übelkeit erklären würde. Vielleicht ja sogar ein Blutgerinnsel oder ein Gehirntrauma, das sofort geheilt werden muss, um bleibende Schäden abzuwenden. Wunden die behandelt werden müssen und zwar sofort.
Panik erfasst sie und gesellt sich zu dem zermürbenden Schmerz, der ständig rote, flammenartige Flecken durch ihr Gesichtsfeld schickt. Sie holt tief Luft und erschauert bis in die Zehenspitzen.
"Ihr wart von oben bis unten voll damit. Ich wusste nicht, wie schlimm es war, bis die Sonne aufging. Beinahe hätte es mich umgehauen. Aber wir haben es geschafft. Wir haben bis zum Morgen durchgehalten. Kaum zu glauben, was?"
"Heilmittel. Haben wir noch einen Heiltrank?"
"Tut mir leid. Den habt ihr mir gestern wegen des Knies gegeben."
"Ich glaube nicht, dass ich überhaupt aufstehen kann."
Quin schweigt eine Weile. "Dann sind wir am Ende", sagt er schließlich mit einer Stimme, in der jede Wärme und überhaupt jeder Ausdruck fehlt. Seine Worte klingen dünn und schwach, es ist die Stimme der Verzweiflung, die Stimme von gestern. Er schlurft zur Feuerstelle zurück und sieht schweigend zu Boden.
"Wir brauchen Wasser. Dringend. Ich muss was trinken. Und mir meinen Kopf ansehen. Hast du einen Rasierspiegel oder sowas dabei."
"Macht mal langsam."
"Vielleicht kann ich die Wunde mit etwas heißem Wasser sterilisieren."
"Sch-sch, lass …"
"Antiseptikum. Ich hatten doch Wundpulver und Einbeerensaft mit."
"Das ist alles weg. Ich war wohl wegen meines Knies ein bisschen gierig, was das betrifft."
"Verdammt." Ihr Gesicht verzerrt sich. Jeden Moment könnte sie in Tränen ausbrechen.
"Macht erstmal langsam, Praiala. Kommt langsam zu euch. Versucht, einen klaren Kopf zu bekommen. Es ist nur eine Fleischwunde. Eine Beule. Sieht schlimmer aus, als es ist."
Versucht Quin nur, sie zu trösten, oder stimmt es wirklich? Das ist schwer zu sagen, aber es beruhigt sie doch ein wenig, denn sie hat ja nichts weiter an das sie sich halten kann, außer diesen vagen Aussagen.
Quin reicht ihr erneut den Wasserschlauch. "Lasst uns erstmal was trinken. Dann überlegen wir, was wir als Nächstes tun können."

Sie brauchen eine halbe Stunde, um die südliche Seite des Hügels hinabzusteigen. Als sie es geschafft haben, machen sie eine Pause, um wieder zu Atem zu kommen und ihre verschiedenen Schmerzen abklingen zu lassen. Schließlich blicken sie zu dem silbrig-grünen Blätterdach über ihnen, das sich in dem kalten Wind bewegt, der seit Kurzem über den Hügel bläst.
Außer den zwei Schlafsäcken, dem Südweiser, Feuerstein und Zunder, den Waffen und den Sturmlaternen haben sie alles an ihrem Lagerplatz auf dem Hügel zurückgelassen. An dem einsamen und trostlosen Ort, wo sie eigentlich schon ihr Ende hätten finden sollen. Die Überbleibsel eines verloren gegangenen Trupps von Wanderern. Letzte Zeugnisse von Menschen, die in einen Wald eingedrungen waren, den kein Sterblicher betreten sollte.
Nun stehen sie auf dem dünnen Erdboden, der den felsigen Untergrund bedeckt, am Fuß des Hügels und starren in die dunklen Tannen, die in dem weichen Licht beinahe feierlich wirken und sie zu erwarten scheinen. Weiter drinnen im dunklen kalten Urwald erhebt sich eine Mauer aus Gestrüpp um die wenigen letzten Weiden, hinter denen sich viel höhere Tannen und Fichten nach oben recken, die dort dominieren, wo die Erde tiefer ist.
Als sie in den Wald spähen und sich an Sonnenstand und Südweiser orientieren, um Richtung Osten weiterzugehen, bemerken sie, wie uneben der Boden von hier ab ist. Ein hügeliges Auf und Ab erwartet sie, über das sich eine Heerschar von Bäumen erstreckt, die nur dort zurückweichen, wo der felsige Untergrund zum Vorschein kommt, den der Moosbewuchs glitschig macht. Es ist ein Anblick, der Praiala entmutigt, noch bevor sie überhaupt losgegangen sind. Sie werden einen weiteren Tag hier herumirren, geplagt von Schmerzen, die sie bei jedem Schritt überfallen, ja bei jeder Bewegung, die sie machen, so schlimm sind sie verletzt. Und heute werden sie noch langsamer vorankommen als am Tag zuvor. Praiala schließt die Augen und versucht, sich zu entspannen. Tatsächlich ist sie schon am Ende, bevor sie überhaupt angefangen hat, und das weiß sie nur zu gut.

Quins dilettantisch angebrachter Verband hat sich von ihrem Kopf gelöst und ist heruntergefallen, kaum dass sie ein paar Schritte gegangen war. Immerhin hat er die Blutung zum Stillstand gebracht. Die ganze Zeit während sie bewusstlos war, hatte sie Blut verloren. Die Schnittwunde verläuft von der linken Augenbraue über ihre Stirn bis unter ihren Haarschopf. Sie ist rosa und liegt offen da wie ein zweiter schräg verlaufender Mund. Sie hat die Klinge von Quins Messer als behelfsmäßigen Spiegel benutzt, um es sich anzusehen, und glaubt in der Wunde ein Stück freigelegten Knochen gesehen zu haben. Der Schnitt ist mindestens zwölf Halbfinger lang und muss unbedingt so schnell wie möglich genäht werden.
Mit dem letzten Stück Verbandszeug aus ihrem Gepäck hat sie die Wunde mit dem Rest des Wassers abgetupft und versucht, nicht zu laut aufzuschreien, wenn sie sie berührte. Quin konnte nicht hinsehen, als sie die fleischige Wunde versorgte. Dann hatte sie die Kompresse unter die schmutzige Bandage gelegt und vorsichtig um ihren Kopf gebunden. Quin hatte das Ganze dann mit einem Knoten fixiert.
Der schlimmste Anblick für Praiala war der ihres eigenen blutüberströmten Gesichts gewesen, das sie kaum wiedererkannte, als sie in den improvisierten Spiegel blickte. Das Wasser, das Quin über ihren Kopf gegossen hatte, hatte nicht das Gesicht gesäubert. Der größte Teil des verkrusteten Bluts klebt noch da, wo es in breiten Rinnsalen herabgelaufen war. Die eine Seite ihres Gesichts ist aufgrund einer Prellung purpurrot verfärbt und dunkel verschmiert von dem Schmutz, der ihr Gesicht und ihren Hals ohnehin schon bedeckt. Ihr linkes Ohr ist überkrustet von getrocknetem Blut, und es sieht aus, als hätte man diese Seite ihres Kopfes in ein Blutbad gehalten. Wenn sie jemals hier herauskommen, wird sie für den Rest ihres Lebens übel gezeichnet sein. Ihr blutiges Gesicht und der Gedanke an diese klaffende rosa Wunde verursachen ihr noch mehr Übelkeit, und unendliches Selbstmitleid übermannt sie.
Jetzt brauchen sie beide eine Krücke. Quin hat einen nassen Ast für Praiala gefunden. Und nun schleppen sie beide stöhnend ihre geschundenen Körper auf schmerzenden Beinen zwischen den uralten Bäumen hindurch.
Während sie gehen, kann Praiala kein Wort an Quin richten. Schweigend deutet sie mit der freien Hand auf Lücken im Wald, die schätzungsweise in die richtige Richtung führen. Den Südweiser trägt sie unter ihrer Kleidung. Öfter als nötig nimmt sie ihn heraus, um zu überprüfen, ob sie weiterhin ungefähr zumindest in dieselbe Richtung laufen, jenem Weg folgen, den sie sich zurechtgelegt hatte, als sie auf den Baum gestiegen war.
Miteinander zu sprechen würde nur das Bisschen an Kraft verbrauchen, das ihnen noch geblieben ist. Schon ein kurzer Blickwechsel könnte den anderen so weit aus dem Gleichgewicht bringen, dass er sich noch langsamer und vorsichtiger als ohnehin schon vorwärtsbewegt. Sie bleiben dicht beieinander, aber vermeiden gleichzeitig einander zu nahe zu kommen.
Praiala behält das Sonnenszepter die ganze Zeit über in der Hand, hat aber so große Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten und leidet derart unter den pochenden Schmerzen in ihrem Kopf, dass sie überhaupt keine Kraft mehr hätte um sich zu wehren. Wenn sie jetzt angegriffen würden, wären sie dem Tod geweiht.
Sie taumeln einfach nur weiter, gedankenlos und lediglich darauf konzentriert, nicht zu stürzen und in die Richtung zu gehen, wo sie das Ende des Waldes vermuten, immer weiter, bis sie die Ebene und die Reichsstraße erreichen. Oder bis sich ihr unsichtbarer Verfolger dazu entschließt, erst einen von ihnen zu schnappen und dann den anderen.

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Post by Idrasmine » Wed Nov 14, 2018 3:56 pm

Sie kann an nichts mehr denken als an Wasser. Traumbilder von kühlen Bächen, die durch den Wald rauschen, gaukeln ihr durch den Kopf, während sie ihre ausgedörrte Kehle spürt. Silbriges Plätschern und Fließen über glatte Kieselsteine, eiskaltes klares Nass, das durch ein Bachbett auf sie zuströmt und über ihre vertrockneten Lippen läuft, um die Wüste in ihrem Rachen zu benetzen. Wenn sie irgendwann auf einen Wasserlauf stoßen, wird sie ihren Magen stundenlang mit dem lieblichen und erquickenden Nass füllen, bis jede einzelne Zelle ihres Körpers mit Wasser gesättigt ist. Wasser. Schon allein dieses Wort erfüllt ihr ganzes Dasein mit Durst.
Die Umgebung verschwimmt vor ihren Augen. Sie sieht auf ihre Hände und Handgelenke, an denen sie nadelstichartige Schmerzen spürt, weil sich winzige spitze Stachel hineingebohrt haben, und sie sieht Massen von krummbeinigen Insekten, die ihr Blut saugen, bis ihre schwarzen Leiber aufgebläht sind. Ihre Hände sind von ihnen bedeckt, als würde sie Handschuhe tragen. Ihr Hals genauso. Vielleicht sind es ja Stechmücken, die hier im oftmals sumpfigen Boden zu Hause sind. Sie ist zu kraftlos und ihr Gleichgewichtssinn zu gestört, um sie wegzuscheuchen. Also lässt sie sie saugen. Immerhin bekommt auf diese Weise wenigstens jemand etwas zu trinken. Sie grinst vor sich hin und spürt sofort einen Schmerz in ihrer Stirn. Es dauert einige Sekunden, bis sie das Grinsen wieder aus ihrem Gesicht verschwinden lassen kann. Die Höllenqualen, die sie erleidet, wenn sie das Gesicht verzieht, lassen nach und weichen dem gewohnten pulsierenden Schmerz. Gern würde sie dem schweigend dahintrottenden Quin ihre Gedanken mitteilen, aber das Sprechen ist nahezu unmöglich geworden.
Sie fragt sich, ob überhaupt noch irgendwelche Flüssigkeit in ihren Hüftgelenken vorhanden sind. Ihr schreckliches knochiges Reiben und Knacken ist im ganzen Körper zu spüren, wenn sie einen unbedachten Schritt macht. Weiße Punkte stören ihre Sicht. Sich umdrehen und nach Quin sehen würde bedeuten, dass sie anhalten und ihren ganzen Körper wenden müsste, weil sie nicht mehr in der Lage ist, den Hals zu drehen, ohne dass ein blitzartiger weißglühender Schmerz durch ihren Schädel zuckt. Also verzichtet sie darauf, zurückzuschauen und zu kontrollieren, wie es Quin ergeht. Wenn sie innehalten muss, um über einen Steinbrocken oder einen umgefallenen Baumstamm zu klettern, stößt Quin oftmals von hinten gegen sie und brummt unverständlich vor sich hin. Sie gehen so dicht hintereinander und so langsam, dass jedes Zögern gefährlich wird, weil sie beide stolpern und fallen können.
Praiala befindet sich geistig und körperlich in einem viel zu jämmerlichen Zustand, als dass sie sich noch viele Gedanken über den armen Ron machen könnte, den sie zurückgelassen haben. Und was dieses Ding betrifft, so können sie sicher sein, dass es ihnen folgt. Trotz ihrer Erschöpfung und ihrem Beinahe-Delirium lässt Praiala es nicht zu, dass es in ihre Gedanken eindringt. Nicht, so lange sie noch Widerstand leisten kann. Sie wird ihm sowieso früh genug wiederbegegnen. Da ist sie sich sicher. Und sie geht davon aus, dass auch Quin das weiß.
Am frühen Nachmittag wirft Praiala ihre Krücke von sich und sinkt auf die Knie. Von nun an wird sie auf allen vieren weiterkriechen. Es ist einfach besser, wenn ihr kaputter Kopf näher am Erdboden ist.
Quin sagt etwas, aber sie hört es gar nicht. Praiala deutet einfach nur nach vorn, um anzuzeigen, dass sie jetzt diesen Abhang hinunter müssen, wo sie auf eine ungewöhnlich karg bewachsene Wiese stoßen werden, auf der ein Muster von Licht und Schatten durchaus einladend wirkt. Dort ist es außerdem sehr feucht, und sie hofft, dass sie der vollgesogenen Erde vielleicht etwas Flüssigkeit entringen können.
Hinter ihr klackt Quins Krücke gegen die Steine und Wurzeln im Boden, während sie langsam und unsicher mit dem Abstieg beginnt. Bei jeder Bewegung stöhnt sie vor Schmerzen auf.
Als sie unten angekommen ist, legt Praiala sich flach auf den kühlen Boden und schließt die Augen. Vorsichtig umfasst sie mit ihren geschwollenen roten Händen den Kopfverband, um ihren kaputten Schädel irgendwie zusammenzuhalten. Teile ihres Gehirns müssen wohl schon angeschwollen sein, denn sie spürt ein Zucken in den Wirbelknochen im unteren Rückenbereich.
Sie stellt sich vor, wie ein Wundarzt sie untersucht und ihr rät, sich am besten überhaupt nicht mehr zu bewegen. Bewegen Sie sich nicht! Das ist das Schlimmste, was Sie bei einem Hirntrauma tun können. Andererseits fragt sie sich, ob die Worte des imaginären Medicus überhaupt der Wahrheit entsprechen. Sie weiß so einiges über die Heilkunst. Auch vom Überleben in der Wildnis und wie man sich Wasser und Nahrung beschaffen kann. Oder was man aus der Windrichtung oder der Farbe des Himmels schließen kann. In ihrem jetzigen Zustand jedoch, reagiert sie einfach nur auf die Katastrophe, die schon passiert ist. Sie ist ohne Hoffnung, völlig erledigt und längst dem Untergang geweiht.

Sie glaubt, das Geräusch von Wasser zu hören, und setzt sich auf. Aber es ist nur ein Windhauch. Also saugt sie an den Blättern, auf deren glatter wachsartiger Oberfläche winzige Tropfen kleben, die bitter schmecken. Dabei läuft sie um die Lichtung herum, als wäre sie das Zifferblatt einer Uhr und sie der Minutenzeiger. Manchmal erwischt ihre Zunge einen ganzen Regentropfen, aber die Flüssigkeit reicht nicht aus, um ihre ausgedörrte Kehle zu benetzen. Sie leckt an der feuchten Rinde der Bäume. Sie legt den Kopf in den Nacken und öffnet den Mund, aber der Regen fällt auf ihr Gesicht, nicht in ihren Mund.
In den Winkeln ihrer Augen, die sie so weit wie möglich zukneift, weil schon das Zwielicht im Schatten sie schmerzt, sieht sie die Umrisse von Quin in seinem kaputten Fuhrmannsmantel. Er sammelt Blätter und Rindenstücke auf und versucht, das Wasser aus ihnen zu trinken. Es sieht aus, als würde er Austern aus der Schale schlürfen und ihr glibberiges Fleisch verschlucken. Sein Gesicht ist eine einzige Maske aus filzigem Bart und Dreck.
Praiala sieht zum Himmel, dann auf den Südweiser, und hält eine gerötete Hand gegen die Seite ihres Kopfes wie ein Sänger, der eine bestimmte Note zu treffen versucht. Mit dem einen Auge, dessen Sicht von irgendwelchem braunen Rauch behindert scheint, kann sie erkennen, dass sie in die richtige Richtung vorankriechen. Und dann denkt sie an das, was sie gesehen hat, als sie auf den Baum geklettert war. Den Waldrand in der Ferne. Die Linie, hinter der sich eine flache felsige Ebene ausbreitet. Sie glaubt, dass sie dort die Reichsstraße gesehen hat. Dort gibt es auch Bauernhöfe mit Ziehbrunnen. Wasser. Eiskaltes Brunnenwasser in das sie dann ihr Gesicht tauchen könnte.
Fliegen surren durch die feuchte Luft und versammeln sich wie kleine Knöpfe aus Metall an ihrem blutigen Turban.
Sie steht auf. Sie will das Ende des Waldes erreichen. Die kurze Rast hat ihr immerhin eine drängende Sehnsucht beschert, die sie motiviert weiterzumachen.
"Gehen wir. Es ist nicht mehr weit", versucht sie Quin zu sagen, aber es klingt nur wie ein Gurgeln, und sie muss heftig schlucken. Sie weiß, das war das letzte Mal, dass sie etwas gesagt hat.
Quin humpelt auf sie zu, und sie verlassen die Lichtung.

Kurz vor Sonnenuntergang muss sie wieder anhalten und sich auf einen dicken Felsbrocken legen, weil der Schwindel so heftig wird, dass ihr Magen rebelliert und kalte Schauer über ihre Haut jagen. Irgendwo hinter ihr macht Quin plötzlich ein Geräusch. Es ist kein artikuliertes Wort, aber es scheint eine Art erleichtertes Aufstöhnen zu sein, weil Praiala ihnen eine weitere Pause gönnt. Es hat schon so viele davon gegeben. Sie ruhen sich beinahe so viel aus, wie sie vorangehen. Alle paar Schritt. Und sie müssen ständig knien, um die kleinen Wasserpfützen aufzusaugen, die sich auf den Steinen gebildet haben, oder feuchte Blätter abzulecken. Ein Stück weiter entfernt stoßen Quins Füße gegen etwas und wirbeln Blätter auf.
Als das Schwindelgefühl wieder abgeebbt ist, schaut Praiala blinzelnd durch das eine Auge und steht dann wieder auf, um ihr unkoordiniertes Voranschleichen und Aufstöhnen fortzusetzen. Sie versucht, ein paar Töne hervorzustoßen, als sie den Arm ausstreckt, um auf ein Dickicht zu deuten, in dem sie glaubt, einen gewundenen Pfad ausmachen zu können, der sie ihrer Erlösung ein Stück näher bringt.
Und wieder geht es ins Unterholz, wo die stacheligen Zweige gegen ihr Kettenhemd schnellen und sich im Stoff ihrer Kleidung verfangen. Kletterpflanzen schlingen sich wie Tentakeln um sie, und immer wieder muss sie einen Schritt zurück machen, sich von ihnen befreien und darüber steigen, nur um sich dann im nächsten Gestrüpp zu verheddern. So geht das nun schon seit Tagen. Ihre Hose ist mittlerweile ziemlich zerrissen. Aus kleinen Löchern sind große geworden, durch die ständig Dornen und Mücken eindringen und sich über sie hermachen.
Hinter sich spürt sie undeutlich die Anwesenheit von Quin, der vorsichtig in ihre Fußstapfen tritt. Vielleicht passt er auch auf, ob sie plötzlich die Balance verliert, und fängt sie auf, wenn sie zusammenbricht, damit sie nicht in den fauligen und stacheligen Morast fällt. Auf jeden Schritt, den sie macht, folgt einer von Quin. Es ist beinahe etwas Tröstliches in der Art, wie sie sich synchron vorwärtsbewegen. Und Quin ist jetzt so dicht hinter ihr, dass er direkt in Praialas Rücken zu spüren ist. Aber er stinkt wirklich erbärmlich. Obwohl ihre Nase und ihr Mund voll von getrocknetem Blut sind, kann Praiala Quins schweren Atem und den unangenehmen Geruch seiner dreckigen verschwitzten Kleidung riechen.
Das Gestrüpp wird immer dichter, und ohne eine Buschmesser ist kein Durchkommen mehr. Sie müssen umdrehen und das stachelige Dickicht umgehen. Es wird nur deshalb immer dichter, weil wir nicht mehr weit vom Waldrand entfernt sind, sagt sich Praiala. Aber trotzdem müssen wir umkehren.
Sie hält an und dreht sich langsam um.
Dann reißt sie ihr gesundes Auge weit auf. Sie kann etwa zwanzig Schritt weit sehen, aber inmitten des Gestrüpps und dem Unterholz, das sie gerade durchquert hat, ist kein Quin zu finden.
Sie blickt sich forschend um. Dann packt sie eine eiskalte Angst, ihr Herz schlägt bis zum Hals, sie spürt den pochenden Puls im Schädel, ihre Sicht verzerrt sich.
Quin ist offenbar schon zurückgegangen. Er muss ja hier gewesen sein, denn ich habe doch gehört, wie er hinter mir war. Jedem einzelnen meiner Schritte ist er gefolgt.
Praiala versucht, das heftige Panikgefühl niederzukämpfen, das sie erfasst.
Weit hinten, dort wo sie diesen Pfad betreten hat, kann sie die dunkle felsige Lichtung erkennen, auf der sie gerastet haben. Aber auch dort ist von Quin nichts zu sehen.
Sie hebt ganz vorsichtig den Kopf, schluckt und schluckt noch einmal das kleine bisschen Speichel, das ihre Kehle benetzen sollte, und ruft dann seinen Namen.
Das, was von ihrer Stimme noch übrig geblieben ist, kaum mehr als ein Röcheln, verliert sich im dunklen Dickicht. Noch einmal ruft sie nach Quin. Und wieder. Dann reißt sie beide Augen so weit auf, wie sie kann, und späht in alle Richtungen. Jeden Rechtschritt des undurchdringlichen Waldes sucht sie ab, um irgendwo Quins zerschlissenen Fuhrmannsmantel zu entdecken.
Nichts.
Quin ist nicht mehr bei ihr.
Wann hat sie ihn zuletzt gesehen?
Sie versucht, sich zu erinnern. Ganz langsam geht sie die letzten Minuten durch. Dort bei diesem Felsbrocken, auf den sie gekrochen ist, da hat sie Quin zuletzt gesehen. Nein. Sie hat ihn dort nur gehört, aber sie hat ihn nicht angeschaut. Quin war hinter ihr geblieben. Er hat ein Geräusch gemacht. Ja, das stimmt. Ein Stöhnen oder ein leiser Ausruf. Des Erstaunens? Wollte er sie auf etwas hinweisen? Dann hat er mit den Füßen gescharrt und gegen etwas auf dem Boden getreten.
Vielleicht ist er ja in die andere Richtung gelaufen, blind und orientierungslos, weil er völlig erschöpft ist und sein Knie ihn plagt. Ist von Praiala fortgetaumelt und hat sich irgendwo verirrt.
Aber das kann ja nicht sein, denn als Praiala sich eben noch einen Weg durch das Dickicht gebahnt hat, hat sie Quin direkt hinter sich gehört. Sie haben sich beinahe berührt. Sie hat ihn nicht gesehen, nein. Aber sie hat ihn gehört und gespürt, und das war bestimmt keine Halluzination gewesen. Sie sind dicht hintereinander gelaufen. Ganz dicht.
Der Gestank.
Praiala hebt ihr Sonnenszepter.

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