"Wer frei von Schuld und Sünde, der scheut nicht seinen Blick. Der legt in Praios' Hände sein Heil und sein Geschick", spricht Praiala mit bebender Stimme und greift mit ihrer Linken nach dem Bernsteinamulett des Praiodan von Luring, das sie um ihren Hals trägt.
"Auch in der dunklen Stunde der tiefen Mitternacht, beschützt der Herr die Seinen und hält getreue Wacht."
Mit einem ohrenbetäubenden brüllenden Bellen stürzt die Kreatur auf die Geweihte zu und reißt das hässliche, mit Blut gefüllte, Maul auf. Praiala hebt reflexartig die Waffe zur Abwehr und weicht ob der schieren Masse des Monstrums gleichzeitig zurück. Sie stolpert, fällt rücklinks während das Maul zuschnappt. Es klingt als würden zwei Schwerter aufeinanderprallen und der entsetzliche Gestank, der an eine Abdeckerei erinnert, lässt ihr den Atem stocken.
Die grauenhafte Nähe dieses Monstrums inmitten der alles einengenden Dunkelheit lässt sie wie festgenagelt im Schlamm erstarren.
Doch keine Zähne packen sie, schleifen sie nicht fort und keine dämonischen Hörner spießen sie auf.
Die Bestie verharrt, brüllt erneut, beugt seine grotesk geformten Hinterbeine zum Sprung, stößt aber nicht zu. Jetzt erst nimmt die Geweihte das diffuse Sonnenlicht wahr, dass den Weg um sie erleuchtet.
Es hält es in Schach. Es kann das Licht des Götterfürsten nicht überwinden.
Mit der Kraft der Verzweiflung deutet Praiala das Zeichen des Auges auf das schwarze, gräßliche Wesen. Selbst hier an diesem unheiligen Ort, wo die Wände zwischen den Sphären erschüttert wurden und die Erzdämonen selbst herabgerufen wurden um blutige Ernte unter den sterblichen Feinden Bosparans zu halten, ist Praios Macht ungebrochen. Das Licht Alverans ist mit ihr, schützt sie und gibt ihr Mut.
Ihr, die von seinem Licht berührt wurde, seinem Ruf folgte, der sie hierher brachte. Hier an diesen unendlich düsteren Ort. Um der Kirche und nicht zuletzt sich selbst zu beweisen, dass sie den Mut besitzt sich dem zu stellen, das die göttergewollte Ordnung verletzt und die Seelen der Sterblichen verzehrt. Um die finstere Magie und die von ihr gerufenen Schrecken dorthin zu bannen von wo sie gekommen sind.
Erst noch zitternd dann aber mit immer festerer Stimme spricht Praiala den ersten der zwölf heiligen Bannflüche:
"Herr Praios, ewige Sonne, Trenner von Recht und Unrecht! Gepriesen sei deine Macht! Dein strafender Blick falle auf diesen Frevler! Es sei!"
Mit göttlicher Macht fährt ein gleißender
aus dem düsteren Himmel herab und zerschmettert das Monstrum donnernd zu Staub. Geblendet vom Licht des Götterfürsten spürt die Geweihte wie ihr die Kraft des Bannstrahls entgegenschlägt und sie in die Knie zwingt um nicht zu Boden zu stürzen.
Der göttliche Zorn schlägt mit solcher Gewalt in die Bestie ein, dass die Bäume zu beiden Seiten des Weges laut krachend splittern und von der heiligen Kraft unter lautem Knacken brechen und niedergeworfen werden.
Die plötzliche, unheimliche Stille die sich auf dieser gerade entstandenen Lichtung ausbreitet hat etwas heiliges, das das allgegenwärtige Grauen der Brache in Schach hält. Kein Laut ist zu hören, als hielte der verdorbene Forst den Atem an, ob der gewaltsamen Auslöschung jener unheiligen Präsenz die seit Jahrhunderten auf alle Jagd macht die sich ins Herz des Waldes vorwagen.
"Hesindiane?"
Ein kratzendes Geräusch aus dem Inneren der Kutsche ist zu hören. Dann wird der Vorhang vorsichtig beiseite geschoben.
"Es ist vorbei. Es ist gebannt."
Zitternd steigt die junge Frau aus dem Wagen und fällt Praiala in die Arme.
"Was war das?"
"Eine Bestie. Von verdorbener Zauberei gerufen und an diesen Ort gebunden. Doch jetzt ist sie tot. Durch die Kraft des Götterfürsten vom Antlitz Deres getilgt."
Hesindiane richtet sich auf und ihr Blick schweift über die immer noch in heiliges Licht getauchte Szenerie. Über die Bäume und Sträucher die niedergedrückt daliegen, von der gewaltigen Macht in alle Richtungen auseinandergesprengt.
"Dieser Weg", erinnert sich die Geweihte an das Gespräch das sie vom Keller des Turmes aus gehört hat,
"führt zu den Fingern."
Mit neuer Zuversicht hebt Praiala die schwere Armbrust auf die beim Aufprall vom Kutschbock geschleudert wurde und wie durch den Willen der Götter unversehrt ist.
"Ich werde nicht zulassen, dass diese Verbrecher das entführte Kind noch tiefer in die Brache bringen. Ich werde sie aufhalten."
Entschlossenheit und heiliger Zorn lodert in den Augen der Praiotin als sie sich vergegenwärtigt was das Kind erwartet, so der Plan der Banditen aufgeht.
"Die Finger sind von der Reichsstraße aus zu sehen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe kannst du von dort aus dem Weg nach Osten folgen und die Brache verlassen."
Praiala glüht innerlich vor heiligem Zorn bei dem Gedanken an den geplanten Frevel. Durch die karmale Kraft, die sie immer noch durchströmt, fühlt sie sich dem Ewigen so nahe, dass sie die übermenschliche Erfahrung des Zerschmetternden Bannstrahls in jeder Faser ihres Körpers spürt. Sie fühlt wie die Entrückung ihr Mut und Stärke verleiht sich der Brache zu stellen. Nie zuvor hat sie so klar erkennen können, Teil des göttlichen Planes zu sein. Sie fühlt sich an die göttliche Erleuchtung ihrer Weihe erinnert als sie spührte wie ihre Seele im Ewigen Licht in die Nähe der Göttlichkeit erhoben wurde, um von Praios strengem Blick geprüft zu werden. Das Licht wird kommen, sie wird es tragen, und die Finsternis wird weichen.
Langsam aber entschlossen setzen sie ihren Weg zu Fuß fort. Mit der Gewissheit, dass sie nicht allein hier draußen in der Dämonenbrache sind. Jenem verfluchten Wald, der sich über ihnen wölbt, das blassgraue Sonnenlicht zurückhält und dicke Wassertropfen auf sie fallen lässt, als wären die Zweige und Äste das Dach einer Tropfsteinhöhle, feucht glänzend und angsteinflößend seit Anbeginn der Zeit.
Sie hören und sehen nichts mehr von diesem grauenhaften Ding, das vom göttlichen Zorn Praios zerschmettert wurde. Aber andere Wesen begleiteten sie.
Praiala schluckt und schluckt, um den schrecklichen Durst loszuwerden, der vielleicht von dem Staub kommt, den sie eingeatmet hat. Ihr wird abwechselnd heiß und kalt, sie schwitzt, doch die karmale Kraft in ihr lässt all dies verblassen. Sie gehen einfach weiter. Immer weiter. Nach Südosten.